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Ludwig: Die Schrift „jisqI kvvjzvicov" des Synesios von Kyrene. 2S
Eroberung der Kyrenaika sind die Tore zum Einzug einer neuen
Kultur geöffnet, die wissenschaftliche Durchforschung jener
Stätten wird uns aber auch bald einen reichen Einblick in eine vergangene
große Kultur gewähren, und ich glaube, gerade die
moeferne okkulte Forschung wird den Schriften eines Synesios er-
höhtes Interesse zuwenden.
Seitdem die tieferen und schwierigen Probleme der Seelenr
forschung, wie Telepathie, Hellsehen, zweites Gesicht, Wahrtraum,
Mediumismus, den Händen populärer Charlatane mehr und mehr
entwunden und Gegenstand ernster Forschung von seilen bedeutender
Vertreter der Wissenschaft geworden sind,*) wird sich immer
klarer zeigen, welche Bedeutung auf dem Gebiete der Seelen-
forschung-) der neuplatonischen Philosophie zukommt, und ich
möchte darauf hinweisen, wie einer der letzten Vertreter dieser
Philosophie der Mystik, ein Schüler Hypatias und späterer christlicher
Bischof, das Phänomen des Traumes und insbesondere des
Wahrtraumes einer geistvollen Erörterung unterzogen hat in der
Schrift jvsq) evvjtviwr. Bereits Migne hat seine Wiedergabe der
Schrift des Synesios6) mit der Bemerkung eingeleitet, dieselbe sei
„mirabilis acuminis et ingenii testis", Petavius freilich, der 1633
eine lateinische Übersetzung besorgt hatte, hat sie keiner erklärenden
Noten gewürdigt („nihil ad hunc librum adnotavit Petavius"
sagt Migne), weil der Inhalt ihm zu heidnisch war „liber de insom-
niis merum cultorem deorum redolet neque vel pilum christiani
habet hominis**.7) Heute irn^ Zeitalter einer vertieften und vorurteilsfreien
psychologischen Forschung würde er wohl anders
urteilen.
Dagegen fand die Schrift zur Zeit der Renaissance in Italien
hohe Schätzung in den Kreisen namentlich, die zu Florenz der
platonischen Akademie angehörten, und es ist kein Zufall, daß
gerade der mystisch gesinnte Marsilio Ficino diese Schrift als erste
unter allen des Synesios 1489 zu Florenz ins Lateinische übertrug8).
War doch Ficino der Bannerträger des Neuplatonismus in Italien,
übersetzte neben Plato.noch Plotin und Porphyrius und wurde dadurch
ebenso auf den Neuplatoniker Synesios geführt wie Jahr-
4) Ich nenne nur Prof. Wallace, Crookes, Myers, Lodge und
die Londoner Society for psychical research; Prof. Hyslop, Hodgson,
Eichet, Flammarion, Dr. Maxwell und Dr. Ochorowicz, Aksäkow,
Perty, Schiapareili, Lombroso, Flournoy, Morselli, Lapponi (Leibarzt
Leos XIIL), Kerner, Daumer, Zöllner, du Prel, Schrenck-Notzing,
Zurbonsen, Scnotteliüs, Bormann.
ö) Insbesondere der sog. supranormalen Kräfte der mensch-
lischen Psyche. 6) Migne, S. gr. 66 S. 1282. t) Migne, S. 1023.#
8) Wie groß in der Kenaissance das Interesse gerade für diese
Schrift des Synesios war, geht daraus hervor, daß sie 1516 und 1518
in Venedig, 1549 in Lyon und 1586 in Paris gedruckt wurde.
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