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54 Psychische Studien. XLIII. Jahrgang. 2. Heft. (Februar 1916.)
noch in diesem seinem Ben Retiro in mönchiger Stille. Wie vorteilhaft
aber sticht seine Erscheinung von der eines Karls des
Fünften ab, der doch in gleicher Weise freiwillig auf die höchste
Macht Verzicht leistete und die Kutte erwählte. Während der
fünfte Karl bald von Reueanfällen über seinen ungewöhnlichen*)
Schritt gepackt, bald von religiösen Skrupeln hin- und hergezerrt,
das Bild eines mit sich selbst nicht einigen Menschen bietet, sehen
wir Ashikaga Yoshimasa den Rest seines Lebens stiller Beschaulichkeit
und der Pflege der schönen Künste widmen. Er erfindet
ein neues Ceremoniell für das kirchliche Weihrauchopfer, er
gründet ein für die Folge maßgeblich gebliebenes leezeremoniell,
er baut den ersten diesem entsprechenden Teeraum, er sammelt
die besten chinesischen und japanischen Kunstwerke, mit denen
er seine „Ginkakuji" oder „Jishoji" genannte Eremitage schmückt,
er schafft um dieselbe herum unter Zuhilfenahme des anstoßenden
schönbewaldeten Berghanges einen Landschaftsgarten ersten
Ranges usw. Die ganze Anlage vermachte er der Zensekte, die
sie getreulich pflegt, so daß der Besucher alles so findet, wie es der
Begründer verlassen hat. Besonders interessant ist das angebliche
Selbstportrait des Shoguns im priesterlichen Ornat, ein Kunstwerk
, welches die Regierung dem Staatsschatz einverleibt hat, so
daß es also unveräußerlich geworden ist. Stadt und Staat zahlen
einen gemeinsamen Beitrag zur dauernden Instandhaltung der als
vorbildlich geltenden Gebäude und der Gartenanlage. —
Außer vielen heiligen Schreinen von Stein und Holz besitzt
der Tempel Kenninji einen hübschen Bronzeeber, dessen Beine
ganz in Papierstreifen stecken, mit Gebeten beschrieben. Nahebei
liegt die mächtige Kirschblütentanzhalle, zurzeit leider geschlossen.
Nicht geschlossen aber schienen die Herzen der schönen Tänzerinnen
, die rundum in hübschen Häuschen wohnen und zum Teil
hinter ihren Gittern freundlich winkten.
Starke Eindrücke erhielt ich von der Tempelanlage Nanjenji
Herrlich ist das dunkelgehaltene Tempeltor, herrlich der neue
schöne Tempel, herrlicher noch sein dunkler Wald mit den lauschigen
Pfaden an bemoosten Felsenwänden entlang. Der Weg
führt höher und höher, stets von Steinlaternen und Andachtsstätten
begleitet. Schließlich bieten die Felsenwände keinen Ausweg
mehr. Hier nun stürzt ein Bach von einei* Felsenklippe, im
Grunde zu einer Art Bad gefaßt, von Holzplanken umgeben.
Pilger und Pilgerinnen entkleiden sich hier und lassen sich den
»
*) In der japanischen Geschichte ist die freiwillige Abdankung
eines Monarchen keineswegs so ungewöhnlich wie in der abendländischen
. Auch der Vorgänger von Ashikaga Yoshimasa, Ashikaga
Yoshimitsu z. B., der Erbauer des „goldenen Pavillons", hatte freiwillig
, wie oben bereits erwähnt, die höchste Macht niedergelegt
und sich in klösterliche Stille zurückgezogen. —
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