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Ludwig: Die Schrift „Ji8{H bvvjrvico)'" des Synesios von Kyrene. 73
IL Abteilung.
Theoretisches und Kritisches.
Die Schrift „neQl Ivnxvlmv" des Synesios von
Kyrene.
Von Professor Dr. A. Ludwig, Freising.
(Fortsetzung* von Seite 25)
DT*e Phantasie ist der vorzüglichste Sinn, das cco/it:
jtqcötov xpryj/c. Sie ist das vermittelnde Organ der Seele sowohl
nach außen hin, denn sie bildet den Sitz der Sinnlichkeit, und wir
können Farben sehen, Töne hören, auch wenn die dafür geschaffenen
körperlichen Organe untätig sind, als auch nach innen,
indem sie den Verkehr der Seele mit dem Göttlichen vermittelt,
Mahnungen, Warnungen, Ratschläge der Götter erhält. Denn mit
dieser innerweltlichen Gottheit, der fti'a fi 'Qf * Iv y.nöpico oder dem
#£oj tyxoo'taz. kann die Seele wegen einer gewissen Gleichförmigkeit
ihrer Natur i m T r a u m e verkehren. Nun hat freilich
Synesios nichts gewußt von der modernen Lehre vom Unterbewußtsein
, die der englische Psychologe Myers so wohl zu begründen
wußte,1 -) aber er hatte Kenntnis davon, daß unter der Schwelle
des Tagesbewußtseins Kräfte und Fähigkeiten in der Seele
schlummern können, die plötzlich in anormalen Seelenzuständen
<d:r auch im Traume sich äußern. Darum steht es füi Synesios
fest,1'1) daß gar mancher, im Traume von den Musen belehit,
plötzlich zum Dichter wurde. Gerade über diese ans Wunderbare
g. enzende Erscheinung ist jüngst eine Arbeit erschienen,14 ), in der
darauf hingewiesen wird,15) daß sich in der französischen und
deutschen magnetistischen Literatur zahlreiche Berichte über
künstlerische Befähigung von Somnambulen finden, die sich in
deren Schlafzuständen äußern, und daß sich dieselbe vorwiegend
auf Dichtung und Musik beschränke, wozu noch neustens bei den
sog. Malmedien die Kunst des Malens kommt. Eine analoge Erscheinung
bieten aber auch die sog. Inspirationen, die aus dem
Unterbewußtsen kommen in der Weise, daß z. B. manche weltberühmte
Künstler, deren seelische Triebkräfte sonst regelmäßig
unter der Herrschaft des Bewußtseins standen, doch zuweilen von
dem inneren „Dämon** überwältigt, in einem traumartigen, nur
12) In seinem Werk „The human personality" 1903. Vgl. dazu
Löwenfeld, „Bewußtsein und psych. Geschehen*. Wiesbaden 1913.
13) Kap. 3 am Schluß.
14) Hans Freimark, „Mediumistische Kunst*1. Leipzig 1914.
15) S. 40 ff.
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