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86 Psychische Studien XLIII. Jahrg. 2. Heft (Februar 1916.)
schwang und den Bewegungen der Hand des Fakirs folgte. Auf
ein kleines Holztischchen legte dieser kurze Zeit seine Hände.
Als er sie wegnahm, war das Tischchen derartig am Fußboden angeheftet
, daß es Jacolliot selbst mit größter Kraftanstrengung
nicht entfernen konnte. Er zerbrach dabei nur die Tischplatte.
Erst als der Fakir sich an die äußerste Ecke der Plattform begab,
wurde das Tischchen wieder leicht beweglich. „Die Geister sind
fortgegangen, weil ihr iidisches Verkehrsband unterbrochen war,"
erklärte der Fakir diese Erscheinung. Auf der Plattform hing eine
Harmonika an einer längeren Schnur. Wie diese der Fakir
zwischen Daumen und Zeigefinger faßte, begann die Harmonika
von selbst zu spielen. Als der Fakir auf Wunsch des Konsuls den
Geist eines Musikers anrief, spielte die Harmonika herrliche
Akkorde und nach einem Vorspiel ein Volkslied der malabarisehen
Küste. Jacolliot kniete nieder und beobachtete, wie die Harmonika
von selbst spielte: er sah den Blasebalg sich von selbst auseinander
- und zusammenziehen und die Tasten sich von selbst heben
und senken. Irgendein Betrug war völlig ausgeschlossen dabei.
Der Fakir legte einen Federhalter auf den Sand, streckte die
Hände aus und murmelte seine Beschwörungen. Da richtete sich
der Federhalter hinter seinem Rücken auf und zeichnete und
schrieb alles von selbst nach, was Jacolliot mit einem Bleistift auf
Papier zeichnete und schrieb; auch ein nur gedachtes Sanskritwort
schrieb der Federhalter von selbst nieder, ebenso ein Wort,
das Jacolliot nicht kannte, dessen Stelle er aber in einem Rig-
Veda-Auszuge genau angab. Dann erhob sich der Fakir auf die
Dauer von 8 Minuten schwebend in die Luft in der Höhe von
25—30 Zentimetern, wie Jacolliot genau feststellen konnte.
Aus der Erde eines Ameisenhügels, die er in Wasser auflöste
, ließ der Fakir ein gekennzeichnetes Samenkorn in 2 Stunden
zu einer 20 Zentimeter großen frischen Pflanze auswachsen.
Währenddem saß er starr mit ausgestreckten Händen auf der
Plattform und schlief den „Schlaf der Geister", wie er erklärte,
in dem ihn niemand berühren durfte. Das Pflänzchen, das unter
einem Musselinvorhang so zauberhaft in einer Blumenvase gewachsen
war, trug in den Samenhäutchen der Wurzel noch die
eingeritzten Kennzeichen des Konsuls. Die Pflanze war durch das
reine, direkte Fluid der Geister zum beschleunigten Wachstum gebracht
worden, wie der Fakir sagte.
In der letzten Sitzung vollzog sich das Wunder der Geister-
Verkörperung. Der Fakir ließ sich am Kohlenfeuer nieder, in das
er Räucherpulver streute, kreuzte die Arme über die Brust und
sang seine Beschwörungen. Dann blieb er unbeweglich, die linke
Hand aufs Herz gelegt, mit der rechten sich auf seinen Stab
stützend. Zuweilen nur legte er die Hand an die Stirne, als wolle
er sie frei halten vom Geisterschlafe. Plötzlich bildete sich eine
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