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88 Psychische Studien. XLIII. Jahrgang. 2. Heft. (Februar 1916.)
vorbereitete. Dann legte er seine Kleider ab, ließ sich in einen
Sack stecken und seine Zunge in den Schlund zurückbiegen, so
daß sie ihn verschloß. Dann fiel er in einen tiefen Schlaf. Man
legte ihn in eine Holzkiste, verschloß und versiegelte sie, legte sie
ins Grab, schloß es und säte Gerste darauf. Tag und Nacht
wurde das Grab von Schildwachen 10 Monate lang bewacht.
Zweimal ließ während dieser Zeit der argwöhnische Füist das
Grab öffnen. Der Fakir lag in seinem Sacke, wie er begraben
wurde, kalt und leblos.
Nach 10 Monaten nahm man die Ausgrabung vor in Gegenwart
von General Ventura und Hauptmann Wade. Man entnahm
den Fakir seinem Sacke und einer brachte seine Zunge
wieder in ihre natürliche Lage. Nur auf dem Scheitel konnte
man eine fühlbare Wärme feststellen, sonst war der Fakir ohne
Atmung, ohne Herz- und Pulsschlag. Als man langsam warmes
Wasser <iuf seinen Kopf goß, erwachte er nach und nach wieder
zum Leben, so daß er nach 2 Stunden sich erheben und lächelnd
davongehen konnte. Dieser Fakir erzählte, daß er entzückende
Träume während seines Begrabenseins habe, nur im Augenblicke
des Erwachens litte er an heftigem Schwindel, bis er sich seiner
wieder ganz bewußt würde. Dieser tiefe Schlafzustand der Fakire,
in dem sie lebendig begraben werden können, ist wesensgleich
dem Winterschlaf vieler Tiere, in dem z. B. Frösche und Fische
im Eise einfrieren und Molche sich im Schlamme vergraben.
Daß die Fakire zum Winterschlafe niederer Lebewesen
zurückkehren können, beruht wohl auf starker Selbsthypnose.
Auch durch Fremd-Hypnose kann der tiefe Winterschlaf-
Zustand bei Menschen herbeigeführt werden, wie Seymour auf
der Weltausstellung zu Chicago 1893 vorführte, wie auch Wrotlen
im kg!. Aquarium zu London im Jahre 1896. —
Ähnlich dieser Erscheinung ist die lange Fastenzeit verschiedener
Hungerkünstler, die allerdings bei Bewußtsein bleiben.
Auch sie ist durch Selbsthypnose zu erklären.
Die Bedingungen, unter denen die indischen Fakire
ihre Vorführungen darbieten, kennzeichnet Jacolliot in folgender
Weise:
1. Sie geben keine öffentlichen Vorstellungen an Orten, an
denen die Anwesenheit von mehreren hundert Personen jede Über-
wachung unmöglich macht.
2. Sie werden von keinem Gehilfen oder sogenanntem Helfershelfer
begleitet, noch unterstützt.
3. Sie zeigen sich im Innern der Häuser vollkommen nackt,
außer einem Leinwandgürtel von Handbreite.
4. Sie kennen weder Würfelbecher, noch Zaubertaschen
oder Büchsen mit doppeltem Boden, vorbereitete Tafeln oder
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