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Olericus: Weltkrieg and Telepathie
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Luft um mich herum eisig kalt, vom Fußboden kam's herauf
gezogen und umhüllte mich. — Da brach der Schmerz sich Bahn.
Es mußte etwas passiert sein und ich begann zu weinen. Auf dem
Nachttisch stand die Photographie meines Mannes. Ich bedeckte
sie mit Küssen und sprach zu ihm, rief flehentlich seinen Namen,
betete und bat Gott, meinem geliebten Manne gnädig zu sein, ihn
nicht zu verlassen, ihn zu behüten. Das Licht war ausgelöscht,
draußen auf der Straße war es schon hell. Ich hörte, daß die
Straße gekehrt wurde, daß die Vöglein sangen und meine Tränen
rannen immer noch. — Gleich morgens erzählte ich alles der
Hauswirtin und nachmittags meiner Schwägerin, die nach München
gekommen war. Am Montag Abend, den 31. August, erfuhr ich,
daß mein armer Mann am Freitag, den 2 8. August, gefallen
war! Wann er gestorben ist? Keiner weiß es, vielleicht erst
nachts, als ich diese Erscheinung hatte. Getroffen wurde er von
einem Granatstück bei Conthil am Freitag Nachmittag zwischen
4 und 3/2^ Uhr. Ich kenne sein Grab nicht, habe nichts zurückerhalten
, weiß nicht, wann er begraben wurde und wer ihn begraben
hat. Ob ich es je noch erfahren werde?" —
2. Den zweiten Fall habe ich aus dem Munde der Gattin
eines höheren Beamten, die ich seit Jahren kenne und wegen ihrer
ungewöhnlichen Klugheit und Bildung schälze, und aus dem ihres
erwachsenen Sohnes, der an der Münchener Universität studiert.
Darnach saß am Abend des 20. August 1914 um 9 Uhr die
Dame am Bett ihrer leicht erkrankten Tochter, die mit Leutnant
R. B. verlobt war, der zu Beginn des Krieges gegen Frankreich
gezogen war. Auf dem Nachtkästchen neben dem Bett stand des
Leutnants Bild. Die beiden Frauen sprachen natürlich vom
Krieg und als einmal unwillkürlich der Blick der Mutter auf das
Bild fällt, sieht sie deutlich ein Kreuz auf der Brust des
künftigen Schwiegersohnes. Alle drei Personen, auch die Tochter
und der Sohn, sehen es, denken aber an nichts Schlimmes; denn
obwohl der Mutter anfangs etwas unheimlich zu Mute war, wollte
sie sich überreden, es könne sich ja zufällig Staub auf der Photographie
in Kreuzform zusammengeschoben haben.2) Ihr Sohn
sagte noch scherzend, vielleicht verdiene sich R. B. noch an diesem
Abend das Eiserne Kreuz. Aber später mußten sie erfahren, daß
es R. B.'s letzte Lebensstunden waren; denn am 21. August nachts
um l/2\ Uhr ward durch ein unglückliches Versehen der tapfere
2) Es ist bemerkenswert, daß der Münchner Arzt Dr. H. Bor k
der mit dem sog. Vorgesicht begabt ist, einmal eine ganz ähnliehe
Erscheinung hatte. Er sah deutlich über seinem Bett ein Kreuz; er
stand auf, um wo möglich die Illusion loszuwerden, allein du*
schwarze Kreuz blieb deutlich sichtbar und des morgens kam denn
auch eine ihn sehr nahe berührende Tiauernachricht. Vergl. Süddeutsche
Monatshefte 1913, Heft 8. S. 121 ff. „Einiges über Fernsehen
usw."
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