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104 psychische Studien. XLIIL Jahrgang. 3. Heft. (März 19161
Offizier von einem deutschen Posten erschossen. Bis zum
22. August waren von ihm immer regelmäßig Nachrichten eingetroffen
. Als aber die folgenden drei Tage vergingen, ohne daß
ein Lebenszeichen von ihm eintraf, wurde die Braut unruhig.
Jeden Tag erwartete sie mit qualvoller Ungeduld die Post, die ihr
aber immer wieder eine Enttäuschung bereitete. So kam der
26. August heran und mit ihm wieder das sehnsüchtige Warten
auf Nachricht aus dem Felde. Am Nachmittag dieses Tages beschäftigte
sich der Bruder der Braut damit, die Blumen auf dem
Vorplatz zu gießen und zu reinigen. Vom Tische aus konnte man
den ganzen Vorplatz und das Stiegenhaus übersehen. Das Dienstmädchen
stand daneben und hatte denselben Überblick. Auf
einmal hören sie, wie die Haustüre geöffnet wird. Der Sohn
freute sich und rief: „Jetzt kommt der Postbote!** Dann war es,
wie wenn jemand in großen Sprüngen hastig die Stiege herauf
eilte und zwar waren die Schritte so, wie der
junge Offizier immer die Treppe heraufkam
. Auf dem Vorplatz aber war plötzlich alles wie abgeschnitten
. Da sagt der Sohn zu dem Dienstmädchen, das ebenfalls
die Schritte gehört hatte und gleich jenem gespannt nach
dem Fenster sah: „Das war R.** „Mir war es,*' berichtete er mir,
„wie eine Eingebung und von diesem Augenblick
an wußte ich, daß R. tot wa r.** Ich eilte sofort hinaus
und sah nach, ob jemand da sei, aber ich konnte niemand sehen.
Mir fiel jetzt auf, daß eine Stille im Hause herrschte wie noch
nie, beinahe unheimlich, obwohl es vormittags 11 Uhr war. Mein
Vater, meine Mutter und meine Schwester hatten ebenfalls das
Öffnen der Haustüre gehört und auch gehofft, es wäre die Post
mit guter Nachricht. Das eilige Heraufspringen über die Treppe
vernahmen nur ich und unser Mädchen, da wir derselben am
nächsten waren. Zwei Stunden später bekamen wir die telephonische
Nachricht, daß Leutnant R. B. gefallen sei und zwar
am 21. August nachts gegen I Uhr.** —
3. Aus G. bei München stammt der dritte Bericht aus der
Feder eines hochgebildeten Geistlichen, Dr. J. B., um dessen
Schwester es sich handelt, deren Bräutigam, ein Offizier, ebenfalls
in den Krieg gezogen war. „Meine Schwester, eine sensible, aber
seelisch durchaus gesunde Natur, war an einem Augusttag 1914
kurz vor 2 Uhr nachmittags mit Briefschreiben Beschäftigt. Plötzlich
wurde sie von der intensiven Vorstellung einer vorübergehenden
Tragbahre überrascht, unter deren Decke ein Arm in weißem
Hemdärmel herabhing, der mit der Hand eine grüßende Belegung
ausführte. Der augenblickliche Gedankengang der Briefschreibenden
bezog sich auf Dinge, die in keiner Beziehung zu
irgend einem Element jener Vorstellung standen. Um so stärker
war der Eindruck. Meine Schwester brach das Schreiben sofort
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