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108 Psychische Studien. XL1IL Jahrgang. 3, Heft. (Marz 1916J
Mit Recht hebt dei Verfasser hervor, daß man, wenn man
von Zwangstrieben redet, nie damit eine neue Art von Zwangsvorgängen
gegenüber den Zwangsvorstellungen meinen darf, sondern
nur die Hervorhebung eines in die Augen springenden Faktors
innerhalb derselben Spezies.
Nach allem handelt es sich bei den Zwangsvorgängen einerseits
tim Vorstellungen, die entgegen der logischen Überzeugung
und entgegen dem Willen sich in den normalen Gedankenablauf
eindrängen. Andererseits handelt es sich um mit Vorstellungen
verbundene Antriebe und Impulse zu Handlungen. Es erhebt sich
deshalb die folgende Frage: liegt hier eine abnorme Schwäche des
Willens, ein Mangel desjenigen geistigen Apparates vor, der sonst
das Kommen und Festhalten der Vorstellungen regelt? Oder aber
besitzen die Zwangsvorstellungen selbst Eigentümlichkeiten, deren
Vorhandensein das Drängende derselben erklären könnte? Hierbei
muß zugleich die weitere Frage nach der psychologischen Ursache
zur Beantwortung kommen. Der Verfasser hält die Annahme
einer Kombination des rein subjektiven Faktors, des Mangels an
Willensenergie mit der Gefühlsbetonung einer Vorstellung zum Zustandekommen
einer Zwangsvorstellung für wahrscheinlich. Nach
seiner Meinung hat die Emotion in doppeltem Sinne einen Anteil
am Zustandekommen der Zwangsvorstellungen: einmal in dem,
der eine affektive Betonung gewisser Vorstellungen besagt, und
dann in dem andern, der eine durch Mangel an Willenskraft verursachte
leichte Erregbarkeit jenen gegenüber besagt. Diese
Emotion des Bewußtseins ist eine allgemeine Eigenschaft desselben,
die sich in gleicher Weise auf alle Vorstellungen erstreckt.
Interessant ist der Hinweis auf den rein psychologischen
Standpunkt, von dem aus der Mechanismus der Zwangsvorstellung
durch S e g 1 a s und Friedmann erklärt wurde. Nach
ersterem bleibt die psychische Synthese insofern eine unvollkommene
, als die psychischen Elemente, anstatt in einer einzigen
und definitiven Synthese zu enden, isoliert bleiben und unter sich
kleine sekundäre, mehr oder weniger komplexe Synthesen bilden,
die sich niemals vollkommen mit den früheren psychischen Erwerbungen
assimilieren. Wem fielen hier nicht die Beobachtungen
von Prof. Staudenmaier in Freising-München ein, die er an sich
selber machte ? S e g 1 a s nun folgert daraus eine Art Verdoppelung
des Bewußtseins. Je nachdem nun die psychischen
Vorgänge, welche dazu führen, ganz oder nur teilweise unterbewußt
sind, kommt es nach ihm zu ganz verschiedenen
psychischen Erscheinungen. Bei teilweisem Unterbewußtbleiben
der die Verdoppelung des Bewußtseins anregenden psychischen
Vorgänge läßt er Zwangsvorstellungen hervorgerufen werden.
Friedmann führt die Entstehung der Zwangsidee auf
einen Inhalt zurück, welcher nicht die Form der fertigen Urteils-
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