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116 Psychische Studien. XLIII. Jahrg. 3. Heft. (März 1916.)
sie jedoch ihre Geschichte zum Besten geben» um so fester setzt
sich in ihnen die Meinung fest, daß sie Tatsächliches erzählen —
bis sie zu guter Letzt felsenfest davon überzeugt sind. Genau wie
in solchen harmlosen Fällen entwickelt sich die Autosuggestion
auch da, wo große Interessen auf dem Spiele stehen. Naturgemäß
ist die Überredungskunst solcher, die, wenn auch nur auf dem Umwege
des Selbstbetruges, von ihrer Sache überzeugt sind, ungleich
eindringlicher als die von reinen Betrügern.
Leichter als auf einzelne Individuen lassen sich suggestive
Wirkungen auf Massen erzielen. Wie sich körperliche Krankheiten
durch Übertragung und Ansteckung weit verbreiten, so geht
es auch mit den geistigen Irrtümern. Der Nachahmungstrieb
kommt dabei der Verführung zu Hilfe. Die Massensuggestion ist
eines der lehrreichsten und anziehendsten Kapitel im weiten Bereich
der Psychologie. Wertvolle Aufklärungen darüber danken
wir namentlich dem Franzosen Gustave Le Bon, dessen Schrift
über die „Psychologie der Massen" auch in Deutschland Verbreitung
und Schätzung gefunden hat. Gerade als Franzose war
Le Bon zu solchen Studien in besonders hohem Maße berufen, da
ihm seine Landsleute bei ihrer Entzündbarkeit und Leichtgläubigkeit
das denkbar umfangreichste und tauglichste Beobachtungsmaterial
lieferten.
Die Massensuggestion ist von jeher in der Politik von Volksführern
und Volksverführern als eines der beliebtesten und erfolgreichsten
Mittel zur Ausbreitung ihrer Ziele benutzt worden:
aber ein so ungeheuerlicher Druck auf die ganze Menschheit wie
in dem gegenwärtigen Krieg ist früher damit noch niemals ausgeübt
worden. Wie alles andere, hat jetzt auch dieses psychologische
Machtmittel einen ungeahnten und unerhörten Riesenmaßstab
angenommen. Wir sehen alle Künste der willkürlichen
Behauptung und Darstellung, der Entstellung und Verdrehung von
Tatsachen, der Einflüsterung und Überredung, der Verführung und
Verhetzung in schwungvollen Betrieb gesetzt. Wir sehen von einer
verhältnismäßig kleinen Zahl Machthaber die Massen nach Belieben
geknetet und geformt, gedrängt und geschoben, geknechtet
und zu willenlosen Werkzeugen erniedrigt, während die nicht unter
das Joch der Suggestion Gebeugten entmutigt und zum Schweigen
verurteilt beiseite stehen. Wahrscheinlichkeit oder Möglichkeit
zieht der Suggestion keine Schralfken, vor clenen sie Halt zu
machen braucht. Tagtäglich lehren uns ungezählte Beispiele, wie
das Unsinnigste ohne weiteres geglaubt wird.
Eins der kräftigsten Beweismittel der Suggestion ist die Unterschiebung
, daß etwas sein müsse, weil es nun einmal ist. Anders
kann man es sich nicht erklären, daß von aller Welt der Glaube
an die Notwendigkeit der englischen Seeherrschaft mit wahrem
Fatalismus hingenommen wird. Diese Herrschaft selbst ist leider
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