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118 Psychische Studien. XLII1. Jahrgang. 3. Heft. (März 1916).
Es mögen nun die Ideen, welche Daumer über diesen Gegenstand
entwickelt, samt den von ihm gebrauchten Zitaten und Beispielen
in angegebener Reihenfolge hier wörtlich zum Ausdrucke
kommen:
„Schon ein gewöhnliches Erzeugnis unseres Vorstellungsvermögens
, welches die bildende Seele mit Gestalt, Licht, Farbe,
Ton, Stimme usw. ausstattet, ist eine wirkliche Schöpfung, nur
daß dieselbe im Innern bleibt und sich nicht nach außen wirft. —
Aber die Phantasiespiele des wachen Menschen, wenn sie nicht
ins Abnorme gehen, haben stets den Charakter der Willkürlichkeit
und der Erzeugung und Ausführung durch die eigene Seelentätigkeit
; sie stehen in wesentlichem Zusammenhang mit unserem
übrigen ichheitlichen Wesen und Leben; es ist nichts unserer bewußten
Selbstheit und Persönlichkeit Fremdes darin. Ein solches
scheint sich aber bei manchen Personen bemerkbar zu machen,
sobald sie die Augen schließen. So sagt z. B. Goethe von
sich: .Wenn ich die Augen schließe und mir in der Mitte des
Sehfeldes eine Blume denke» so legt sich dieselbe auseinander,
und es entfalten sich aus ihrem Innern wieder neue Blumen aus
farbigen, wohl auch grünen Blattern. Es sind dies keine natürlichen
Blumen, sondern phantastische, doch regelmäßige, wie die
Rosetten der Bildhauerei. Es ist unmöglich, die hervorsprossende
Schöpfung zu fixieren; sie dauert aber solange, als mir beliebt,
ermattet nicht und verstärkt sich nicht. Dasselbe kann ich hervorbringen
, wenn ich mir den Zierat einer bunt bemalten Scheibe
denke, der dann ebenfalls aus der Mitte gegen die Peripherie sich
immerfort verändert, völlig wie die Kaleidoskope.* Goeihe spricht
hier von einer Schöpfung, die er wohl durch Schließung der
Augen hervorrufe und durch Öffnung derselben verschwinden
mache, die aber übrigens ihre Selbständigkeit und Freiheit gegen
ihn behaupte, so daß die gestaltende Kraft ihr Spiel für sich
treibe. Perty berichtet von sich selbst, wie er einige Male abends
vor dem Einschlafen und morgens die reizende Halluzination
prachtvoller Arabesken gehabt, die etwas denen in der Alhambra
ähnlich waren, welche er jedoch erst später aus Zeichnungen
kennen lernte. Sie gestalten sich fortwährend kaleidoskopisch
um, wobei er bemerkte, daß sein Wille einigen, doch nur kleinen
Einfluß auf den Vorgang hatte. — Es gehören hierher auch die
sogenannten Schlummerbilder, wie sie namentlich J. Müller an
sich selbst beobachtet hat. Es erschienen im Sehfelde zuerst
einzelne Lichtflecke, Nebel, wechselnde Farben, dann begrenzte
Bilder, matt leuchtend, zuweilen auch farbig, sich begegnend verwandelnd
, bei der leisesten Bewegung des Auges oder bei Reflexion
verschwindend. Es waren selten bekannte Gestalten, meist sonderbare
Figuren von Menschen, Tieren, erleuchteten Räumen, wie er
sie niemals wahrgenommen. Sie hatten nicht den geringsten Zu-
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