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124 Psychische Stadien. XLIII. Jahrg. 3. Heft. (März 1916.)
diese neue (?), streng positivistische Auffassung der Welt ist
historisch notwendig. Sie ist aus den Bedürfnissen unseres naturwissenschaftlichen
, den fruchtlosen metaphysischen Bestrebungen
feindlichen Zeitalters ganz natürlich herausgewachsen." Sie hat
die für selbstverständlich angesehene Behauptung, daß die Welt,
die wir erkennen, nur unsere eigene Vorstellung sei, als irrig
widerlegt (?) und damit den erkenntnistheoretischen Idealismus
endgültig überwunden (3). Sie zuerst hat die beiden Grundpfeiler
aller (?) philosophischen Lehrgebäude seit Descartes: die
mechanische Naturansicht und den platonisch-christlichen Gegensatz
von materieller und immaterieller Substanz wirklich zu Fall
gebracht (107). Ja, indem sie überhaupt jede Vorstellung einer
Substanz vollständig beseitigte, hat sie die ganze bisherige Geschichte
der Philosophie zu ihrem naturgemäßen Abschluß gebracht
(VIII, 209), hat, soweit wir heute urteilen können, „das
Weltproblem im Wesentlichen gelöst" (136, vgl. 209) und uns
mit ihrem großen Gedanken des Relativismus, dem größten
wissenschaftlichen Gedanken überhaupt (84), an Stelle der Widersprüche
und Verschrobenheiten der idealistischen Metaphysik eine
einfache und natürliche Weltanschauung gewonnen, die als widerspruchsfrei
und in Übereinstimmung mit den Tatsachen nachgewiesen
werden kann (183 f.). Kurz: die von W. Schuppe,
E. Mach und R. Avenarius begründete positivistische Auffassung
ist nach P e t z o 1 d „als historisch notwendig, als logisch unausweichlich
und so mit größter Wahrscheinlichkeit in ihren Hauptzügen
als endgültig" anzusehen (V). Und jedenfalls gibt es an
ihr vorbei keine haltbare Entwickelung des philosophischen
Denkens. Wer sie widerlegen will, der muß erst durch sie hindurch
(3). Und wer über sie hinaus will, der muß so gut auf ihr
fußen, wie sie selbst sich in historischer Kontinuität an die Vergangenheit
anreiht (4). —
Man sieht: gering sind die Ansprüche, die P e t z o 1 d für
seinen relativistischen Positivismus erhebt, gerade nicht. Aber er
selbst bemerkt ganz richtig: es werde auch in der Wissenschaft
„weit mehr als wichtige und unerläßliche Neuerung angepriesen,
als nachher in den Besitz der Menschheit übernommen"; „das
Dauernde ist nur ein auserwählter Fall unter vielen" (39). Ja,
es hat in der Geschichte der Philosophie noch niemals ein Geschlecht
gegeben, das nicht den alten Irrtümern einen neuen hinzugefügt
oder an die Stelle der alten gesetzt und ihn inbrünstig für
Wahrheit gehalten hätte (1). Und wenn wir darum auch nicht an
dem allmählichen Fortschritt der Erkenntnis verzweifeln dürfen (1),
so müssen wir doch jede neue oder angeblich neue Lösung des
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