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Hänig: Zur Psychologie des Weltkrieges. 141
nur in einer Entfernung wie die vorhin angegebene, sondern noch
viel weiter; im Westen von Ostende bis nach Basel und im Osten
von Riga bis zum roten Meere, ohne daß selbst hier sogar einer
noch weiteren Ausdehnung Grenzen gesetzt wurden. Auch das
andere Moment ist in noch größerem Maßstabe als man erwartet
hatte, eingetreten: die Wirkung unserer großen Mörser und der
Maschinengewehre hat alle Begriffe tiberstiegen und trotzdem stehen
sich, wenigstens im Westen, die Gegner nach Jahresfrist, gleich
einer ehernen Mauer, noch gegenüber. Nur das eine steht fest,
das sich aus dem Vorhergesagten von selbst ergibt: die ganze
Psychologie des Krieges ist heute eine andere geworden, wo sich
statt der Tausende, Millionen gegenüberstehen, und die Folgen davon
dürften auch auf die zukünftige Gestaltung der europäischen
Kultur nicht ohne Einfluß sein.
Derjenige Faktor, der hier in erster Linie in Betracht kommt,
ist der große Einfluß, den die Massensuggestion auf die moderne
Kriegsftihrung hat. Zwar rückt das moderne Heer nicht mehr
wie im Altertum in geschlossenen Reihen an, wie es etwa die
mazedonische Phalanx war, sondern in Reihen aufgelöst in der
Schützenlinie, um vor allem besser gegen die mörderische Wirkung
der Maschinengewehre geschützt zu sein, aber die Wirkung der
modernen Geschütze auf die Nerven, sowie die ganze militärische
Ausbildung sorgen schon von selbst dafür, daß diese Wirkung eintritt
und auch noch im Verlauf des Einzelkampfes zur Geltung
kommt. Auf Massensuggestion zielt ja im Grunde genommen unsere
ganze militärische Durchbildung hin, wo dann an Stelle der freien
Handlungsweise des einzelnen die mechanische Tätigkeit gesetzt
wird, so daß der einzelne ganz in der Masse aufgeht und
die Masse wiederum an der Hand genialer Heerführer, wie
wir sie zum Glück in diesem Kriege in Deutschland haben, im
Stande ist, wie eine große Einheit zu arbeiten. Das ist die
„stumpfsinnige Methode", um die uns besonders die Russen so beneidet
haben. So ist es oft vorgekommen, daß der einzelne, wenn
er die sichere Deckung des Schützengrabens verließ, einen anderen
mit fortriß und dieser einen dritten, so daß sich eine ganze Reihe
in Bewegung setzte, in der es kein Zurück mehr gab. Ein eigentümliches
Licht auf diese Vorgänge wirft unter anderem auch das
Verlangen unserer Feldgrauen, sich während des Sturmangriffes
eine Cigarette anzuzünden; der betreffende wollte seine Aufmerksamkeit
, wie mir ein Verwundeter erzählte, von den Vorgängen
um sich her auf sich selbst ablenken, also in anderen Worten ausgedrückt
, er wurde gewissermaßen von der Massensuggestion
getragen und suchte unwillkürlich in dieser dahinfließenden Bewegung
nach einem Halt, den er in diesem Fall in einem Vorgang an
sich selbst fand. Die Sicherheit, die der einzelne in dem eigenen
Artilleriefeuer findet, das ihn hinter der Front deckt, tut hier Wunder,
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