Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene, Bibliothek, Frei122-Z5
Aksakov, Aleksandr N. [Begr.]
Psychische Studien: monatliche Zeitschrift vorzüglich der Untersuchung der wenig gekannten Phänomene des Seelenlebens
43. Jahrgang.1916
Seite: 152
(PDF, 148 MB)
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152 Psychische Studien XLIII. Jahrg. 4. Heft (April 1916.)

viele, ja tausende von Menschen ergriffen werden, wenn die
Krankheitserreger gleichzeitig in viele einzelne Leiber gelangen.
Eine Krankheit des Volkes im eigentlichen Sinne gibt es darum
doch nicht, sondern nur eine Krankheit vieler einzelner Volksgenossen
. Der Körper jedes Menschen ist eine biologische Einheit
und zeigt diese Selbständigkeit auch der Krankheit gegenüber.
Je mehr dabei die persönliche Anlage, die ererbte Eigenart von
maßgebendem Einfluß ist, desto deutlicher zeigt sich der rein
individuelle Charakter des Erkrankens. Für Bau und Leistungen
des Nervensystems ist diese ererbte Eigenart von besonders großem
Einfluß. So wird gerade die Geisteskrankheit zu einer
singulären Erscheinung. Nie ward dies deutlicher als in der
Gegenwart. Die Zahl der Geisteskranken hat im Volke seit
Kriegsbeginn nicht zugenommen, die Formen sind die gleichen
geblieben, der Einfluß des Krieges und der Kriegszeit, des unermeßlichen
Jammers und Elends, von dem Millionen betroffen
wurden, hat sich bisher bei den Geisteskrankheiten nicht bemerkbar
gemacht. Das Volk hat sich an den Krieg gut angepaßt
und leistet körperlich und seelisch mehr als je ein Volk vergangener
Zeit.

Kehren wir zu unserer Hauptfrage zurück: Gibt es geistige
Volkskrankheiten, gibt es einen Völkerwahn? Angesichts der
einstigen Greuel des Hexenwahns, der religiösen, politischen und
wirtschaftliehen Volkserregungen aus Vergangenheit und Gegenwart
neigt der Kulturhistoriker zur Bejahung dieser
Frage; die ärztliche Wissenschaft muß sie verneinen
. Woher dieser Zwiespalt ? Er stammt aus der verschiedenen
Umgrenzung des Begriffes der Krankheit.

Der Wahn ist in der Sprache der Wissenschaft eines der
wichtigsten Symptome geistiger Störung. Ihr liegt — für unser
Auge freilich heute noch nicht erkennbar — ein krankhafter Hirnvorgang
zu Grunde, der die geistige Persönlichkeit im Ganzen
verändert und dabei neben zahlreichen anderen Abweichungen auch
Wahnvorstellungen auftreten läßt. Diese Krankheitserzeugnisse
stehen nun im Wesentlichen außerhalb der Gesetze
der normalen Psychologie und Logik. Der Wahn ist u n k o i r i -
g i e r b a r , solange die Krankheit besteht, die ihn erzeugt. Erfahrung
beeinflußt ihn nicht, die Unmöglichkeit seines Inhalts \ ermindert
nicht seine subjektive Gewißheit. Der elementare
Fehler aller Laienbehandlung gemüts- und geisteskranker
Menschen besteht im Glauben des Laien an die Wirksamkeit der
normalen psychologischen Gesetze. Der Versündigungswahn des
Melancholischen, der Größenwahn des Tobsüchtigen oder Paralytischen
, der Verfolgungswahn des Verrückten läßt sich nicht
ausreden, er spottet aller Logik, aller wohlmeinenden Bemühung,
ihm seine Grundlagen durch Hinweis auf die Wirklichkeit der


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