Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene, Bibliothek, Frei122-Z5
Aksakov, Aleksandr N. [Begr.]
Psychische Studien: monatliche Zeitschrift vorzüglich der Untersuchung der wenig gekannten Phänomene des Seelenlebens
43. Jahrgang.1916
Seite: 154
(PDF, 148 MB)
Bibliographische Information
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154 Psychische Studien. XLIII. Jahrg. 4. Heft. (April 1916.)

Wahn ist das Erzeugnis des einzelnen kranken Gehirns
, der gewöhnliche Irrtum findet sich beim Einzelnen wie
bei der Gemeinschaft. Die Überwindung des Irrtums erfolgt
durch genaue Wahrnehmung und Beobachtung, durch geistige
Schulung, verstandesmäßige Überlegung, logische Berichtigung.
Gelingt dies nicht, weil gemütliche Bedürfnisse im Wege stehen,
so entsteht das Vorurteil, das an sich widerlegbar ist, aber
doch am Irrtum festhält, weil er dem Irrenden liebgeworden ist.
So entstehen Sympathien und Antipathien, deren
psychologische Begründung dem nachdenkenden Geiste unmöglich
sein kann.

Je höher die geistige Schulung, je schärfer das Denken, desto
deutlicher trennt sich das Gebiet des Glaubens von dem des
Wissens. Beim Kind und beim Naturvolk gehen Glauben und
Wissen noch unscharf durcheinander. Die Auseinandersetzungen
zwischen Glauben und Wissen erfolgen selten, der Zweifel ist ein
spätgeborenes Kind der Kultur. Aus den Jahrtausenden des naiven
Glaubens schleppt unsere Zeit wie alle ihre Vorgängerinnen eine
Menge von Aberglauben mit sich, dessen innere Unmöglichkeit der
kritische Verstand bei Selbstbesinnung erkennt, dessen Macht aber
doch nicht völlig gebrochen ist. Dieser Aberglauben wird oft
schamhaft und heimlich gehegt; indem wir über uns selber
lächeln, meiden wir die Zimmernummer 13 im Gasthaus und reisen
nicht am Freitag auf der Eisenbahn. Das dunkle Gefühl, daß es
zwischen Himmel und Erde eben doch noch mehr Dinge gebe, als
unsere Schulweisheit sich träumen lasse, dient als Entschuldigung
und verleiht dem Aberglauben auch da, wo wir bereits tatsächlich
auf festerem Wissenboden stehen, doch immer wieder das
Bürgerrecht.

Mit dieser Trennung von Glauben und Wissen, Irrtum und
Vorurteil, Aberglauben und Wahn sind wir dem eigentlichen
Gegenstand unserer Betrachtung näher gerückt. Lesen wir in den
Büchern der Geschichte, blicken wir um uns im Leben der Gegenwart
, so begegnen wir überall der mächtigen Herrschaft falscher
Vorstellungen, die nicht selten ganze Völker in ihren Bann gezogen
und dem Charakter mancher Zeiten ihr eigenartiges, oft
düsteres Gepräge gegeben haben. In scheinbarem Widerspruch
zu dem, was ich vorhin gesagt habe, sehen wir größere Kreise, ja
ganze Völker von einem leidenschaftlichen Glauben durchdrungen
, der mit aller Erfahrung im Widerspruch steht, unkorrigierbar
erscheint und alle Kennzeichen dessen zu tragen
scheint, was ich als Wahn vom Irrtum geschieden habe. Was ist
der Hexenwahn des \4.—18. Jahrhunderts anderes, als ein Wahn
geistig erkrankter Völker? Und wie sollen wir die heutige Seelenverfassung
eines Volkes nennen, das die Beschreibung eines Pariser
Arztes gläubig hinnimmt, der ihm versichert, unsere deutschen


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