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160 Psychische Studien. XLIII. Jahrg. 4. Heft. (April 1916.)
IL Abteilung.
Theoretisches und Kritisches.
Heinrich Heine und das Übersinnliche.
Von Dr. Sophie Eben-Lederer.
Zwei literarisch wenig bedeutende Satiren, kurz nach Heines
Tode erschienen und unverdientermaßen weithin verbreitet,
„Heines Höllenfahrt*' und das Gegenstück ,Heinrich Heines
Himmelfahrt4 \ wiesen jene „hohe Seele", die an einem kalten,
nebligen Februarmorgen des Jahres 1856 dem Elend der
„Matratzengruft** entfloh, gleicherweise dem bösen wie dem guten
Geiste zu. Aber Heines „Höllenfahrt** fand den größeren Absatz;
vielleicht, weil es unterhaltsamer war, sich den freien Sänger, der
„die brennenden Blumen der Brenta** geliebt und manche süße
Sünde gar süß besungen, in seinem Element, in leidenschaftlich
bewegter Flammenlohe zu denken, statt „palmenschwingend** in
jenen Räumen, wo „weiche Pantoffeln und schöne Musik** zu
Hause sind, — vielleicht auch nur, weil die Schadenfreude der
Mittelmäßigkeit noch nach dem Tode Heines eine Lösung der
rätselvollen Widersprüche im Leben des Dichters im Sinne des
„Moralischen** heischte, ein Bedürfnis, das bis heute in offenbarungsspiritistischen
Kreisen weiterlebt, allwo „matte Fliegen**
den „Entsühnten** Halleluja singend begrüßen, oder „christlich**
gesinnte Leute, in dem Wunsche, sich die Qualen der „Matratzengruft
*' in der Verlängerungslinie zu denken, den Dichter aus dem
Fegefeuer auf die einst so sehr geliebte Erde zurückkehren
lassen, reumütig greinend, „betend und flennend" und immer noch
überrascht davon, daß es ein Jenseits und eine jenseitige Strafe
gibt.
Mehr als die „Kundgebungen" des Geistes interessieren die
religiösen Voraussetzungen, unter denen der Verstorbene aus dem
Leben schied, interessiert sein Verhältnis zur großen Gottesfrage,
zur übersinnlichen Welt, der er, kraft seines Genies, mehr als
andere hier bereits eingegliedert war, interessiert nicht zuletzt eben
seine eigene Medialität. —
Am frühesten, wenn auch neidvoll, ^erkannt hat diese
„Medialität" Friedrich Rückert, der im Gespräch mit Melchior
Meyr einmal äußerte: „Er könne nicht zugeben, daß Heine seine
Lieder selbst gemacht habe, er könne ihn hier nur als »Organ*
gelten lassen;** hierzu bemerkt Meyr, daß diese Äußerung Heine
gewiß ergötzt und daß er erwidert haben würde: „Bravo,
Freund Rückert, besser hat mich noch niemand gelobt! Weißt
Du, was das heißt, »Organ* sein ? Geniesein! Ich wünschte,
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