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Eben-Lederer: Heinrich Heine und das Uebersinnliche. 163
taube Maler die Töne sehen. Gibt es doch
Menschen, denen die Töne selber nur unsichtbare
Signaturen sind, worin sie Farben
und Gestalten hören.*' „Ein solcher Mensch
sind Sie!" rief Maria. — In dem Wort von den gehörten „Farben
und Gestalten" liegt bedeutsam eingeschlossen, daß dieses musikalische
„zweite Gesicht" noch über das an und für sich schon genügend
seltsame Schauen der geometrischen Klangfigur hinausging
. „Ich gestehe es Ihnen, wie sehr ich auch Liszt liebe," so
heißt es an anderer Stelle in den „Florentinischen Nächten", „so
wirkt doch seine Musik nicht angenehm auf mein Gemüt, um so
mehr, als ich ein Sonntagskind bin und die Gespenster
auch sehe, die andere bloß hören;" — und so
kam es, daß der Zaubergeiger Paganini ihm „in tönender Bilderschrift
" auch sichtbare Gestalten und Situationen vor die Seele
zauberte, daß er vor ihm gleichsam ein farbiges Schattenspiel hingaukeln
ließ, worin Paganini mit seinem Violinspiel immer als
Hauptperson handelte. — Einen weiteren Beweis für das durch
die Musik ausgelöste Schauen von Gestalten und Bildern erbringen
die Berichte über Liszt'sche Konzerte und das 'frühe Gedicht
: „An eine Sängerin, als sie eine Romanze sang", dem wir
entnehmen, daß schon der Jüngling die „tönende Bilderschrift"
zu entziffern verstand.
Vielleicht wird ein Teil des musikalischen Rätsels Heine gelöst
durch das geistvolle Wort Franz Liszts: „Er war mehr Musiker
als Dichter"; als eine Erweiterung dieser Erkenntnis aber offenbart
sich mir der Ausspruch des Sängers der Matratzengruft: „Der
Dichter hat die Gnade, und seinem Blick
erschließt sich die Symbolik des Himmels
und der Erde."
Welch einen Ausblick ins Uferlose des Übersinnlichen eröffnet .
das Genie Heinrich Heines! Überwältigende Ahnung von der ursprünglichen
mystischen Einheit der heiligen Drei, der Formen,
Farben und Töne, dämmert auf!--
Die Wirkung der menschlichen und künstlerischen Persönlichkeit
Franz Liszts auf die Menge führt Heine einmal auf die „elektrische
Wirkung einer dämonischen Natur, auf die ansteckende Gewalt
der Ekstase und auf den Magnetismus der Musik selbst" zurück
, also auf .natürliche, wenn auch „okkulte" Kräfte; die
Hypothese des „magnetischen Rapports", (Brief an Moses Moser,
1823) die Gedankenwelt der Theosophen (an Rahel Varnhagen,
im gleichen Jahre) waren ihm vertraut, und er hatte „den Para-
celsus im Original gelesen" (an Lady Duff-Gordon, 1854), also die
verschiedenartigsten Kenntnisse auf dem Gebiete der Geheimwissenschaften
erworben. „Heine hat sich mit diesen (okkulten)
Dingen viel beschäftigt", bestätigt der Philosoph S. H. Fichte, der
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