http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1916/0168
164 Psychische Studien. XLIII. Jahrgang 4. Heft (April 1916.)
Sohn des großen Fichte, anläßlich der Ergänzung eines Gespräches
, das er mit dem schwerkranken Dichter in Paris gehabt;
es drehte sich um Geister und Seelen, um Präexistenz und Fortleben
. — Das von Heine einst zur Verteidigung der phantastischen
und vielfach angegriffenen George Sand gesprochene: „Elle
cherche Dieu**, gilt, verändert, auch von ihm. Ja — Heinrich
Heine war ein Gottsuchei und wurde es immer ernsthafter, je
tiefer die Schatten des Leides in sein Leben fielen. So wild er
sich zeitweise in den Strudel des Lebens stürzen konnte, — die
Dinge, die hinter dem Leben stehen, erregten tief seinen aus Phantasie
und Scharfsinn gekneteten Geist.. Schon in seiner gesündesten
Zeit bricht bei allem Schwelgen im hellenischen Schönheitsideal
der Spiritualist in ihm immer wieder durch, und es gehört
zu den zahlreichen Rätseln in dieser Dichterseele, daß neben
der Sehnsucht nach den glühendsten Genüssen des Lebens ein
instinktiver Widerwille gegen jede derbe Kraftfülle besteht, daß er
„die Farben des Marmors und des Todes" vorzieht.. Die Sphinx
des Todes hypnotisiert ihn, die rätselvolle Unbeweglichkeit des der
Zeit und dem Leben Entrückten bedrängt ihn mit lausend stummen
Fragen. Der Geist solcher leidenschaftlich stummen Fragen brütet
über manchem seiner Geisteskinder; so über der Schilderung der
Leiche der ..Kleinen Veronika", deren Starrheit die im Zimmer
befindliche Wärterin mit den rätselvollen Worten zu erklären sucht:
„Das tut der Tod", — über den geisterbleichen „Florentinischen
Nächten", deren geheimnisreiche Heldin, die sterbende Maria
immer wieder als Schatten auftaucht, — z. B. im Buche über
Italien: „Ich dachte wieder an jene Nacht, als ich vor dem Bette
stand, worauf der schöne blasse Leib lag, mit sanften, stillen
Lippen, — ich dachte wieder an den sonderbaren Blick,
den mir die alte Frau zuwarf, die bei der Leiche wachen sollte und
, mir ihr Amt für einige Stunden überließ, — ich dachte wieder an
die Nachtviole, die im Glase auf dem Tische stand und so seltsam
duftete; — auch durchschauerte mich wieder der Zweifel, o b
es ein Windzug war, wovon die Lampe erlosch
. Ob wirklich keinDritter im Zimmer
war?
Die Fähigkeit der Phantome, Lichter auszulöschen, war demnach
Heine bekannt. Dieses Phantom der Toten ist aber auch
schon, halb losgelöst, im Zimmer der Sterbenden gegenwärtig
(Florentinische Nächte), die, vom Hauche der Verwesung überschauert
, in ihrer Schweigsamkeit schon ins ewige Schweigen
hinüberzugleiten scheint, und in ihrem weißen Musselin-Kleide,
auf dem grünen Sofa liegend, einer Statue auf einem Grabdenkmal
im Garten gleicht. Die gespenstische Nähe des Phantoms, des
unsichtbaren „Dritten** liegt über diesem Schweigen ebenso schwer
wie über dem phantastisch-seltsamen, fieberhaft-hastigen Ge-
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1916/0168