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Schnellen: Zur Kritik des Positivismus.
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wir sie wahrnehmen. Und wenn die wirklichen Dinge nur „Komplexe
(Verbände) von sinnlichen Elementen" oder sogenannten
„Empfindungen** sind (V, 78, 183, 186) und doch „so, wie wir
sie wahrnehmen**, „auch nach unserer Wahrnehmung weiterbestehen
und überhaupt in ihrer Existenz von uns unabhängig
sind** (191): dann sind eben auch jene sinnlichen Elemente, aus
denen sie zusammengesetzt sind (V), unabhängig von uns oder
a n s i c h da. So verlangt es die einmal gemachte Voraussetzung
. Und so glaubt es ja auch der gemeine Mann (155), zu
dessen Ansicht uns Petzold zurückführen will (191).
Nun ergeben sich aber doch bei dieser Annahme sehr bald
allerlei Schwierigkeiten. Denn die Inhalte unserer Sinneswahrnehmung
sind ja in hohem Maße von den innern Zuständen und
Vorgängen unseres eigenen Leibes abhängig. Ja, sie kommen
überhaupt nur durch die Tätigkeit unserer Sinnesorgane zustande.
„Die Farben sind ja nur für ein Auge da; wo kein Auge mehr
tätig ist, da können auch keine Farben sein'*: so versichert uns
Petzold selbst (136). Und das Gleiche gilt auch von allen
übrigen Inhalten unserer Sinneswahrnehmung. „Das Meer rauscht
nur für ein Ohr.** „Die Rose duftet nur für ein Geruchsorgan.
Honig ist süß nur in Berührung mit einer Zunge. Ein und derselbe
Raum ist warm oder kalt, je nachdem ich aus einem kühleren
oder wärmeren komme** (8!). Alle Bestimmungen der von uns
wahrgenommenen Dinge enthalten also schon die Beziehung auf
uns selbst. Es findet sich unter all ihren Eigenschaften „keine,
die unabhängig von Eigenschaften unser selbst wäre'* (81). —
Aber wenn dem nun so ist: wie können wir dann dieselben Verbände
sinnlicher Elemente „auch unabhängig von unserer Wahrnehmung
noch existierend denken** (183) ? Wie können wir annehmen
, daß die wahrgenommenen Dinge „in derselben Weise,
wie wir sie vorfinden**, „auch nach unserer Wahrnehmung
existieren und überhaupt in unserer Existenz von uns unabhängig
sind** (191, V)? Das heißt ja: „die vorher festgestellte Abhängigkeit
der Dinge von uns selbst wieder aufheben** (82) und
etwas zu denken versuchen, was sich selbst widerspricht.
Oder gäbe es doch noch irgend eine Möglichkeit, trotz jener
Einsicht in die subjektive Bedingtheit unserer Sinneswahrnehmung
doch den Glauben an ein von uns unabhängiges Sein der wahrgenommenen
Dinge festzuhalten? — Petzold meint es. Er
sagt: alle jene Schwierigkeiten rührten nur daher, daß man sich
so schwer von der Vorstellung eines absoluten Seins freimache;
aber sie verschwinden nach seiner Ansicht sofort, wenn man sich
nur genügend in den großen Gedanken des Protagoras, in
den Gedanken der Relativität alles Seins versenkt (183, vgl. 84).
„Wir dürfen eben bei unserer gegenwärtigen Frage nicht von den
Beziehungen absehen, in denen die Dinge untereinander und zu
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