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173 Psychische Studien. XLIIL Jahrg. 4. Heft. (April 1916)
soll es auch vorkommen, daß der betreffende Knabe sich selbst
als der wiedergeborene Groß-Lama bezeichnet und in sein altes
Kloster zurückgeführt sein will. Dort bezeichnet er alle Geräte,
deren er sich in seinem früheren Erdenleben bediente, erkennt
seine Gebetbücher usw. wieder, womit er die Probe besteht, daß
er tatsächlich der wiedergeborene Groß-Lama ist.
Hensoldt will auf seinen Reisen mit dem Groß-Lama gesprochen
haben. Es soll ein Knabe gewesen sein von übermenschlichem
Wissen und Denken, der ihn in seiner Muttersprache
anredete und über ihn auf das Genaueste unterrichtet war.
Diese überschwänglichen Berichte wurden aber — wohl mit
Recht — angezweifelt. Sie decken sich auch durchaus nicht mit
dem, was Sven Hedin über den Groß-Lama als glaubwürdigster
Forscher berichtet.
Missionar Huc berichtet von fürchterlichen Gebräuchen des
Bauchaufschlitzens, wie es in den Klöstern der Lama nicht selten
vorkommen soll. Der „Bekte**, der diesen Brauch an sich vollziehen
will, bereitet sich durch längeres Fasten und Beten auf ihn
vor. Während des fanatischen Schreiens und Betens der Lama
verfällt er in rasende Zuckungen, erfaßt ein breites Messer und
schlitzt sich den ganzen Bauch auf. Das Blut spritzt nach allen
Seiten und die Menge der Zuschauer befragt den „Heiligen" nach
dem Geschick gewisser Personen, was er auch beantwortet. Dann
nimmt er in seine rechte Hand Blut aus seiner schrecklichen
Wunde, haucht dreimal darüber und wirft es mit großem Geschrei
in die Luft. Rasch legt er seine Hand auf die Wunde, die sich
sofort schließt und ohne Narbenbildung augenblicklich ausheilt,
so daß von ihr nichts mehr zu sehen ist. Ein kurzes Gebet beendet
diese „Feier** und die Menge geht auseinander. Ähnliche
Gebräuche finden auch außerhalb der Klöster statt, doch stehen
sie alle nicht in hohem Ansehen. Die Lamas berühren ohne verbrannt
zu werden glühendes Eisen, bringen sich Schnittwunden
bei, die augenblicklich ausheilen und ähnliches, was von Reisenden
allgemein berichtet wird.
Ganz rätselhaft ist der „Baum der Gebete** in der Lamaserie
der 10 000 Bilder. Schon die Pater Huc und Gäbet berichten
über ihn. Er trägt auf seinen Blättern und seiner Rinde die wohlgestalteten
Buchstaben des tibetanischen Alphabetes. Sie sind
teils heller, teils dunkler als das Blatt. Untfer der alten Rinde
bilden sich ständig neue Buchstaben, sobald sie sich abschält und
abfällt. Es sind Zwischenformen, die mit den alten Buchstaben
durchaus nicht lmm^r übereinstimmen. Betrug, Täuschung, oder
künstliche Herstellung der Buchstaben erscheint daher ausgeschlossen
. —
Auch die Japaner lassen sich von ihren Ahnen führen. Sie
bedienen sich dabei junger Mädchen als Medien, die im Lande
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