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de Jong: Hegel und Plotin.
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So zitiert er z. B. dien auf visionäre Zustände bezüglichen Anfang
von Kap. IV, 8, 1 folgendermaßen: „Oft, indem ich aus
dem Körper zu mir selbst erwache und außerhalb des Anderen*',
des Äußerlichen „bin, innerlich bei mir selbst, und eine bewundernswürdige
Anschauung habe", während die wörtliche Übersetzung
lautet: „Oft, wenn ich aus dem Körper zu mir selbst erwache
und außerhalb des Anderen bin, innerlich bei mir selbst, schaue
ich eine wundersame Schönheit". So wie Hegel diese Stelle
übersetzt, scheint sie auf etwas Subjektives zu deuten, während
Plotin von etwas Objektivem, nämlich der „intelligibeln Welt"
spricht, in der die tugendhaften Seelen vor der Geburt und nach
dem Tode gänzlich und dauerhaft, während des irdischen Lebens
aber nur teilweise und momentan verweilen. Der Unterschied ist
groß jnd betrifft den Hauptpunkt jeder Philosophie.
Nicht minder ist Hegel beflissen, plotinische Lehren, die ihm
mißliebig sind, in einem ungünstigen Lichte erscheinen zu lassen,
wo nicht totzuschweigen. So wird z. B. Plotin. Lehre von der
Einzelseele nur kurz behandelt, als ob sie willkürlich und spekulativ
wertlos wäre. Dem ist aber nicht so. So gehört z. B. Plotins Abhandlung
„Über die Unsterblichkeit der Seele" (Enn. IV, 7), wie
schon vor Hegel D. Tiedemann erkannte und jetzt mehr und mehr
zugestanden wird, zu den hervorragendsten philosophischen
Leistungen. Da Hegel jedoch selbst die Existenz der Einzelseele
und folglich auch deren Unsterblichkeit leugnete, so mußte er
wohl das bei Plotin hierauf Bezügliche vertuschen und verdächtigen
.
Schließlich sei noch bemerkt, daß der Gedanke, die Geschichte
der Philosophie als „System in der Entwickelung" aufzufassen
, nicht von Hegel, sondern von Fries zuerst ausgesponnen
ist, wie 0. Apelt, Die Behandlung der Gesch. d. Phil, bei Fries u.
b. Hegel (1912) S. A. aus Abhandl. d. Friesschen Schule N. F.,
IV. Bd. 1. Aufl., schlagend dargetan hat. —
Das die wohltätige Stille der holländischen Gelehrtenstube
atmende, in musterhaft schönem, vornehmem Ton gehaltene scharfsinnige
Schriftchen .bietet eine wertvolle Ergänzung der einschlägigen
geschichtsphilosophischen Literatur und läßt zugleich
die Arbeitsmethode und die Denkart Hegels in hellerem Lichte
erscheinen.
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