http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1916/0197
Kurze Notizen.
193
Kurze Notizen.
a) Ein Urteil aus berufenem Munde über
Dr. Rud. Steiner. — Pfarrer Lic. Dr. Rittelmeyer
(Nürnberg), der sich im vorigen Herbst sechs Wochen lang in
Dornach bei Basel aufhielt, wo die „Anthroposophische Gesellschaft
** unter Dr. Steiners Leitung einen gewaltigen Bau aufführt,
in dem Mysterien-Dramen aufgeführt werden sollen, äußerte sich
im Oktoberheft 1915 des in Nürnberg erscheinenden evangelischen
Monatsblattes „Christentum und Gegenwart** über seine in Dornach
gewonnenen Eindrücke folgendermaßen: „Dr. Steiner ist ein
ganz nüchterner, fast möchte man sagen mathematisch nüchterner
Mann, dem alles Phantastische und Extravagante, alles Unklare,
Unwahre, Ungesunde ganz fern liegt. Er ist nicht nur ein guter
Mathematiker und auf den verschiedensten Gebieten der Naturwissenschaft
zu Hause, sondern auch philosophisch völlig auf der
Höhe seiner Zeit. Gerade das schwerste und scheinbar kälteste
Gebiet, die Erkenntnistheorie, hat ihn besonders beschäftigt . . .
Nach seiner Lehre geht der Mensch einer großartigen Entwicklung
entgegen. Er trägt in sich Gaben und Fähigkeiten, die überhaupt
erst am Anfang ihrer Entfaltung stehen. Was man da und dort
von Hellsehen und Fernfühlen hört, davon mag sehr vieles Selbsttäuschung
sein, aber alles ist nicht Irrtum. Was an Medien be-
obachtel wird, was in somnambulen und hypnotischen Zuständen
sich äußert, das wird von den Menschen mit Recht als unheimlich
und ungesund empfunden. Dehn die Form, in der diese Dinge
hier auftreten, ist eine abnorme, vielfach krankhafte und gefährliche
. Aber dahinter liegen schlummernde Anlagen und Fähigkeiten
der menschlichen Natur, die der Entfaltung in der Zukunft
harren. Alles kommt darauf an, daß diese Gaben in gesunder
Weise in der Menschheit zur Entwicklung kommen und daß sie
sich verbinden mit geistiger Nüchternheit und mit moralischer Veredlung
. . . Schon einmal in ferner Vergangenheit haben in der
Menschheit diese höheren schlummernden Kräfte der Seele gewirkt
. Was wir von Visionen in alten Zeiten hören, was wir in
den Mythologien der Völker erfahren, stammt im Grunde aus
solchen Regungen der Menschenseele, die das Göttliche hinter den
Dingen erlebte und schaute. Aber damals hatte der Mensch noch
nicht das ganze wache Tagesbewußtsein wie jetzt, noch nicht . . .
den klaren logischen Verstand wie heute ... Es ist aber Steiner
nicht etwa bloß darum zu tun, von diesen höheren Fähigkeiten
prophetisch zu reden, sondern in einer großen Zahl von Schriften
redet er von dem, was nach seiner Erfahrung durch diese höheren
Fähigkeiten hinter den Dingen wahrgenommen werden kann . . .
Abei wenn Steiner nun auf Grund dieser höheren Gaben ausspricht
, was er wahrnimmt: wie soll man sich dazu stellen? Man
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1916/0197