Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene, Bibliothek, Frei122-Z5
Aksakov, Aleksandr N. [Begr.]
Psychische Studien: monatliche Zeitschrift vorzüglich der Untersuchung der wenig gekannten Phänomene des Seelenlebens
43. Jahrgang.1916
Seite: 206
(PDF, 148 MB)
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206 Psychische Studien. XLII1. Jahrgang 5. Heft. Mai (1916.)

Wahn und Irrtum im Leben der Völker.

Von Univ.-Prof. Dr. Robert Gaupp, Tübingen.

(Schluß von Seite 159.)

Kehren wir noch einmal zu unseren prinzipiellen Erörterungen
zurück! Wir sahen: was man den Wahn eines Volkes oder Volksteiles
nennt, das sind Wirkungen der Suggestion, die von Kranken
und Gesunden, von leidenschaftlich begeisterten Schwärmen und
kühlen Betrügern, in der Woge stürmischer Erregung oder heimlich
mit Umgehung oder Einschläferung unseres Denkens ausgeübt
werden. In der Lenksamkeit sahen wir die Voraussetzung
aller Suggestion; wir unterschieden an ihr einen allgemeinen
dauernden Faktor, der in Wissen und Bildung, Temperament
und Denkkraft, Phantasie und Erinnerungstreue gegeben ist, und
einen besonderen veränderlichen Faktor, den die
allgemeine Stimmung der Zeit, der Einfluß großer Ereignisse und
die Zahl und enge Gemeinschaft in der versammelten Menge
bilden. Der Wahn des Einzelnen, des Geisteskranken, wird bei der
Übertragung auf seine Umgebung zur suggerierten Idee, die vergänglich
ist und sich in nichts von den Suggestionen unterscheidet,
die ein gesunder Fanatiker, ein kluger und kühler Volksredner, ein
schlauer Zeitungsschreiber bei der Masse zu erzeugen vermag.

Wenden wir diese Feststellungen auf unsere Zeit an, so
werden wir sagen dürfen, daß wir gegenüber den Erzeugnissen der
Geisteskranken im westlichen Europa wenig zugänglich
sind. Die Annahme hat wenig Wahrscheinlichkeit für sich, daß
wir als Volk dem Wahne eines Kranken zum Opfer fallen. Anders
nun aber mit den affektgeborenen Suggestionenen des Fanatikers
auf religiösem, politischem und wirtschaftlichem Gebiet. Und
anders vor allem, wenn die Seele der Masse durch plötzliche erschütternde
Geschehnisse aufs tiefste erregt wird. Im Zeichen der
Angst, beherrscht vom hemmungslosen Trieb der Seibsterhaltung,
bei unvermuteter Lebensgefahr kann jener eigenartige Zustand
der Panik entstehen, in dem Suggestion durch Worte und Gebärden
zu entsetzlichen Katastrophen führen können. Ich erinnere
an das Verhalten des Publikums bei großen Bränden in Theatern
und Bazaren, an die wilde Flucht eines geschlagenen Heeres; ein
Wort genügt, um Hunderte und Tausende zu sinnlosen Handlungen
zu bestimmen. Und wie war es im August 1914,
als der Weltkrieg über Europa hereinbrach? In jenen Tagen der
allgemeinen Spannung und Empörung erlebten wir, namentlich in
den Großstädten, die. absonderlichsten Massensuggestionen. Der
Spionagefanatismus nahm groteske Formen an, Wahrnehmimgsund
Erinnerungstäuschungen folgten der Einzelsuggestion mit
drolliger Geschwindigkeit, Thermosflaschen wurden zu Bomben, die
Angst vor der Hungersnot führte zu sinnloser Verproviantierungs-


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