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Kaindl: Teleplastik und Fata Morgana.
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jene rätselhafte „Wahl verlobte" des Dichters, die er seine
„mouche" genannt hat, und die, einem letzten Sonnenstrahle
gleich, über sein Krankenlager huschte, um mit seinem Dahinscheiden
wieder ebenso plötzlich zu verschwinden, als sie gekommen
war. Einen Tag vor seinem Tode hatte er seiner gelreuen
Besucherin „mit angstvoll zitternder Stimme" beim Abschied
zugerufen: „Auf morgen, — hörst du? Säume nicht!'*
„Und doch säumte ich," — sagt die mouche. Sie fährt fort:
„In der Nacht aus dem Schlafe auffahrend, hatte ich das seltsame
Gefühl, als ob ich mich verdoppele, ein Gefühl, wie
Heine es so schön in dem Gedicht erklärt hat: „Dich fesselt
mein Gedankenbann". Als ich dann wieder einschlief, bemühte
ich mich, in namenloser Angst,
dem Tode zu entfliehen, der mich verfolgte,
und mein junges Leben in jenen Schlund stürzen wollte, der sich
klaffend voi denen öffnet, die morgen nur noch Staub und Asche
sind. — Am 17. Februar, einem Sonntage, hatte ich beim Erwachen
eine seltsame Vision. Gegen 8 Uhr morgens vernahm ich
m meinem Zimmer ein eigentümliches Geräusch, eine Art von
Hüpfen und Flattern, wie man es wohl an Sommerabenden zu
hören bekommt, wenn Schmetterlinge zum offenen Fenster hineinfliegen
und nun gewaltsam einen Ausweg suchen. Ich öffnete die
Augen —- schloß sie aber bald wieder; — in den Strahlen der
Morgensonne hatte ich eine schwarze Gestalt erblickt
, die einem riesengroßen Insekte glich,
und sich bemühte, ins Freie zu gelangen." —
An jenem Morgen aber war Heine gestorben. „Ich enthalte
mich jeden Kommentars über diese Vision, die übrigens die einzige
meines Lebens gewesen ist, und erwähne dieselbe nur um ihrer
Eigentümlichkeit willen. Die Erinnerung an sie lebt am Todestage
Heines immer wieder von neuem auf."
So die mouche.
Auch ich möchte mich jeden Kommentars enthalten. —
Teleplastik und Fata Morgana.
Von Alois Kaindl (Linz a. D.)
(Fortsetzung von Seite 165.)
Ein Freiwerden psychischer Kräfte offenbart sich auch, wie
die Geschichte lehrt, gelegentlich welterschütternder Ereignisse in
mystischen Erscheinungen mannigfacher Art, die „als Boten
schrecklicher Begebnis, die gleich Herolden vor dem Schicksal
herziehen," nicht selten divinatorischer Art sind.
Hierzu gehören unter anderen die Erscheinungen von Engeln
und Gespenstern bei hereinbrechenden Naturkatastrophen,
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