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Schnehen: Zur Kritik des Positivismus
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„Dinge an sich'* im wahren, erkenntnistheoretischen Sinn des
Wortes: gleichviel ob sie unmittelbar wahrgenommene Verbände
sinnlicher Elemente oder mittelbar erschlossene Systeme gesetzmäßig
veränderlicher Atomkräfte sind. Und wenn Petzold gegen
den Schluß seines Buches schreibt: „So gewiß wir der Welt
Existenz unabhängig von und vor jedem Bewußtsein zuschreiben
müssen, so wenig darf die Frage nach den Qualitäten dieser unabhängigen
Welt gestellt werden** (198): dann endet er, ohne es
zu merken, glücklich bei dem unerkennbaren „Ding an sich"
Kants. Denn eine außer unserm Bewußtsein wirklich vorhandene
Welt, die wir so, wie sie ist, nie erkennen können (199),
ist eben ein unerkennbares „Ding an sich** im Sinne Kants: ein
bloßer „negativer Grenzbegriff unseres Denkens**, den wir nicht
entbehren und doch auch wieder zu keiner Erklärung gebrauchen
können. Wollen wir aus dieser unglücklichen Stellung des transzendentalen
Idealismus herauskommen und doch nicht in den
naiven Realismus mit all seinen Widersprüchen zurückfallen, dann
müssen wir auch das Dogma von der Unerkennbarkeit der Welt an
sich fallen lassen. Ich sage: das Dogma. Denn nur um ein
solches handelt es sich im Grunde auch bei Petzold : trotz
aller Gründe, mit denen er es zu rechtfertigen sucht.
Doch wir wollen uns diese Gründe einmal näher ansehen. —
Denn sie kehren als Haupttrümpfe in ihrem Kampfe gegen die
böse Metaphysik bei allen Positivisten und Phänomenalisten wieder.
Und Petzold tut sich — ebenso wie Mach und Verworn — offenbar
viel auf sie zu gute, obschon er sie in seiner Darstellung
(186 f., 198 f.) ziemlich unklar durcheinander mengt.
Der erste dieser angeblichen Gründe gegen die
Metaphysik läßt sich etwa so formulieren: wer nach der
Beschaffenheit der Welt an sich unabhängig von jeder Wahrnehmung
fragt, der fordert damit einen Standpunkt ganz außerhalb
der Welt; wir aber stehen selbst mitten in dieser Welt, sind
ein Teil von ihr und können darum auch nur von diesem Standpunkt
aus unsere Fragen stellen (196). — Das erscheint
Petzold sehr überzeugend; aber es ist doch in Wahrheit nur
ein oberflächlicher Trugschluß. Denn unsere tatsächliche Stellung
innerhalb der Welt hindert uns ja in keiner Weise, uns in Gedanken
aus der Welt hinaus und ihr gegenüber zu stellen.
Sie tut es eben so wenig, wie das Gebundensein meines Körpers
an die Erde mich hindert, mich im Geiste auf den Mond zu versetzen
.
Aber: wenn ich das tue, so lautet der zweite Einwand, dann
stelle ich mich doch im Stillen immer als einen Beobachter vor,
der die Welt sich gegenüber sieht (187): Ich setze mich also in
Gedanken doch wieder zu ihr in Beziehung und frage nach einem
Gleichgewichtszustand zwischen ihr und mir. Und zu diesem Zu-
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