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228 Psychische Studien. XLII1. Jahrgang. 5. Heft. Mai (1936.)
schnittsmensch, ist erst recht ein Hohn für „Gottes Ebenbild" als
Begrifi und so bleibt uns vor jeder Gattung Mensch die Frage
übrig: was macht eigentlich den Unterschied des Wesens, Charakters
und der Geistesanlagen des Einzelnen ursächlich, besonders da
man in neuerer Zeit wieder sehr von der Vererbungstheorie abgekommen
ist?
Woher kommt andererseits jenes große Unlustgefühl gegenüber
einem Dritten, das wir Antipathie nennen? Woher die große
Anziehungskraft zwischen zwei ganz verschiedenen Menschen, die
sich auf den ersten Blick sympathisch sind? — Diese Fragen
sind so alltäglich, daß es einigermaßen gewagt erscheint, sie Eingangs
einer Arbeil zu stellen, die auf jeden Fall ernsthaft sein
möchte, immerhin aber Anspruch auf ehrliche Bestrebung, den
Leser für eine Möglichkeit zu interessieren, erheben will. — Da
ich aber keine Freundin unfruchtbarer Einleitungen bin, so strebe
ich stracks auf mein Ziel zu und falle mit einem Ausspruch
Goethes ins Haus, der in seinen Gesprächen mit Faik erwähnt wird;
hier sagt der Dichterfürst: .Ja, wenn wir den Bau unseres Gehirnes
genauer kennen würden und die Beziehungen desselben zu Uranus
nebst den tausendfachen Fäden, an welchen die Gedanken hin
und her laufen!" —
Dieser Satz erscheint zunächst dunkel im Sinne. Gemeint ist
hier mit „Uranus" der Sternenhimmel als Ganzes, obwohl Goethe
die Entdeckung des Astronomen Herrschet nicht unbekannt ge-
wesen sein mag, der 1781 den Planeten Uranus als solchen erkannt
und festgestellt hat. Was aber kann Goethe damit überhaupt
gemeint haben? Doch nur, daß unsere ganze geistige
Basis auf ein Gesetz gestellt ist, das er und noch ein Großer seiner
Zeit sehr wohl kannten, aber nicht auszusprechen wagten. —
Wenn es nun wahi ist (und es ist wahr), daß Gedanken unsichtbare
Strahlungen sind, wie man in neuerer Zeit entdeckt und
nachgewiesen hat, dann gewinnt dieser Ausspruch Goethes ganz
merkwürdig an Klarheit, um nicht zu sagen „Körper". Gg. K o r f
schreibt in seiner kleinen Schrift: „Kräfte im Menschen" (Betrachtungen
über die Seele im Lichte der neuesten Forschungen),
über diese Entdeckung Folgendes: „Daß Gedanken wirkliche Kiäfte
sind, die „in Form von Schwingungen das Gehirn verlassen, hat
der Physiker Blondlot in Nanc}' bewiesen. Er setzte einer Experimentierperson
im Dunkelzimmer eine Kopfma*ske auf, die mit
Schwefelkalcium präpariert war; dieser Stoff hat die Eigenschaft,
im Dunkeln aufzuleuchten, wenn er von Strahlen, auch unsichtbaren
wie Röntgen-, Radium- oder anderen ultravioletten Strahlen
getroffen wird. Durch Fragen, deren Beantwortung ein Nachdenken
erforderte, veranlaßte Blondlot die Versuchsperson zum
Antworten. Jedesmal nun, kurz vor oder während des Antwortens
erfolgte ein deutlich erkennbares Aufleuchten der Schwefelkalcium-
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