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246 Pychische Studien. XL1II. Jahrgang. 5. Heft. (Mai 1916.)
(im weiteren Sinn) empfehlend betonen: gesunden Menschenverstand
und persönlich weitgehende Duldsamkeit bei energischer Abwehr
närrischer Extravaganzen und kleinlicher, bezw. fanatischerUnduld-
samkeit. Vor allem scheint mir aber notwendig zu Bein, daß bei
Darlegungen, welche die Bibel und die dort berichteten Wunder
berühren, mit der theologischen Spezialforschung Fühlung gehalten
wird. Die betreffenden Okkultisten brauchen ja keineswegs die ganze
neuere theologische Literatur in ihren Haupterscheinungen zu kennen.
Es wäre aber schon ein großer Fortschritt, wenn Autoren wie Steiner
— das Gleiche gilt aber auch für Hern Dobberkau von seinen
Studien zur Geschichte des Spiritismus im Aprihieft, bez. Vesme —
auf dessen Autorität er seine Ausführungen blindgläubig aufzubauen
scheint), sich einmal einen wissenschaftlichen Kommentar der Bibel
wie K a u t zse h für das alte und Johannes Weiß für das neue Testament
ansehen würden. E<* ist sonst kein Wuntier, wenn gegenüber
solchen Leistungen von seiten wissenschaftlich gebildeter Theologen
dem ganzen Okkultismus das größte Mißtrauen entgegengebracht
wird, obschon nach meiner vollen Ueberzeugung diene baden im
Grund so sehr verschiedenen geistigen Stömungen - moderne Theologie
und Okkultismus — viel von einander lernen könnten, wenn
allmählich eine Synthese dieser beiden Gegensätze angebahnt würde."
— Wir hoffen, indem wir hiermit nun auch wieder die gegenseitige
Auffassung zum Wort gelangen ließen, mit weiteren Erörterungen
der ja schon früher sattsam besprochenen Steinerfrage — ob seiue
«Gesichte* ^Menschen1*- oder „ Gottesweisheit * — verschont zu bleiben.
Herrn Prof. N. in B. Wir nahen von dem Widerspruch df*r
Schrift teitung der „Uebersinnl. Welt" (Aprilheft S. 120 in einer Vorbemerkung
zu einem Artikel über Dämonomanie von Fritr' Langner-
llamburg) gegen die einseitige, weil dogmatisch beeinflußte Darstellung
der Spuker<ebeimingen bei Luther als ..Krafcäuseningen
des Teufels- durch Dr. Philalethe> (Pseudonym) im Februarheft der
„Psych. Stud." 6. 67 mit Interesse Kenntnis genommen und wollen
nicht versäumen, auch unsere Leser im Gegensatz zu den dort
zitierten Werken der durch ihre vorgeschriebene Schulung zu kirchlichen
Vorurteilen erzogenen gelehrten. Jesuiten Deuifle und Gnsar
auf das bei J. 0. B. Mohr in Tübingen eben erscheinende zweibändige
Werk „Martin Luther* von Prof. Otto Scheel zu verweisen
, der im 1. Band die ganze Finwelt und aas Werden des
Knaben und Jünglings so getreu wie möglich, unparteiisch, unbefangen
und streng wissenschaftlich schildert und sieh in den Anmerkungen
auch mit den früheren Lebensbeschreibungen Luthers
in durchaus objektiver Weise auseinandersetzt. Dali Luther den
ihm von der Kirche suggerierten Teufeis- und Dänionenglauben
wenig wie alle ^eine hervorragenden Zeitgenossen abgeschüttelt hat,
ist ja psychologisch ebenso begreiflich, wie die Tatsache, daß er
infolge seiner Bußübungen und der Angst um sein Seelenheil Mdbst
in ekstatische Zustände geriet, worin er Anfechtungen durch den
vermeintlichen Teufel erlitt, ohne daß jedoclj dieser in Stunden
höchster seelischer Erregung bei ihm eingetretene „Teu felsspuk* den
geringsten Einfluß auf die sonstige au* st inen Schriften hervorleuchtende
Frische, Klarheit und Schärfe seines Geist e^ bezw. auf
sein reformatorisches Werk gehabt hätte. Daß von streng katholi-
lischer Seite diese Spukerlebnisse Luthers /u bestimmten Zwecken
vielfach gehässig ausgeschlachtet werden, ist ebenso ver-tändlieh,
wie andererseits orthodoxe Protestanten unwillkürlich infolge einer
anders gerichteten Suggestion umgekehrt manche Züge im Charakterbild
Luthers günstiger beurteilen, als sie es vielleicht verdienen.
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