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254 Psychische Studien. XLIII. Jahrgang. 6. Heft (Juni 1916)
festa praedicatione distinguitur",38) so glaubte er, die Präexistenz,
den vorzeitlichen Sündenfall und die zur Strafe erfolgte Inkorporation
der Seele annehmen zu können in willkommener Harmonie
mit der Zeitphilosophie; jedoch die wiederholte Reinkarnation
lehnt er ab, weil sie zu offen mit der Schriftlehre und der kirchlichen
Tradition in Widerspruch stand. Aber damit setzte er sich
doch nicht, wie Lang meinte, mit seiner Lehre von der Möglichkeit
eines neuen Falles der seligen Geister in Widerspruch. Was er
sagen will, ist nur das: Diese Weltzeit, dieser Äon, hat einmal ein
Ende, dann folgt die im Jenseits vor sich gehende weitere Läuterung
der Seelen. Tritt aber für diese immer ihre Freiheit behaltenden
und daher vor neuem Fall nicht absolut sicheren Seelen
ein neuer Sündenfall ein, so erfolgt auch eine neue Inkorporation
derselben und damit beginnt ein neuer Äon in seiner Entwicklung.
— Vollkommen richtig sagt daher Bardenhewer19) „die Wiederstellung
, dTtoxatdöraöiq, bedeutet nun doch kein eigentliches
Weltende, sondern nur den vorübergehenden Abschluß einer endlosen
Entwicklung. Der Weltlauf kann überhaupt nie in ein
dauerndes Vollendungsstadium gelangen, bewegt sich vielmehr in
einem beständigen Wechsel zwischen Abfall von Gott und Rückkehr
zu ihm."--
II.
Es steht also fest, Origenes lehrte die Präexistenz der Seele.
Aber durchaus falsch ist die immer wiederholte Behauptung
moderner Theosophen und Okkultisten, das Urchristentum habe
diese Meinung mit Origenes geteilt und erst die spätere dogmati-
sierende Kirche habe diese Lehre als häretisch verurteilt. Die
Präexistenzlehre findet sich weder in der hl. Schrift noch in der
altkirchlichen offiziellen Lehrverkündigung. Origenes wußte das
wohl, aber er berief sich in der Einleitung zu jcsqi agx&v
darauf, daß diese Lehre auch nicht ausdrücklich verworfen sei.20)
Wir wissen nun besonders durch die Forschungen eines Denis2 0,
Redepenning22), Harnack23) und anderer, daß Origenes zu den
sog. „Genies der Summation** gehörte, zu jenen konservativen
Geistern, die alles als stichhaltig erscheinende Wissen der Vorzeit
zu schützen und ihrem System einzuordnen streben, und darum
konnte Denis von ihm zutreffend sagen: „toutes les theories
d'Origene, meme les plus imaginaires representent Petat intellectuel
et moral du siecle oü il a paru".24) Darum hat Origenes, wie wir
8) De princ. Einleitung (Berl. Ausg. 5, 8. 13).
iq) Geschichte der altkirchlichen Literatur2 II, 8. 188.
*>) Vgl. Kötschau, Berl. Ausg. 5 8. 13.
21) De la philosophie d' Origene, Paris 1884.
22) „Origenes*, 2 Bände, Bonn 1846.
*») Dogmengeschichte* I. S. 662 ff.
A. a. O. S. 613.
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