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Kaindl: Teleplastik und Fata Morgana
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steigert, so liegt die Möglichkeit nahe, daß, wofern sich zur
Ekstase inklinierende Individuen darunter befinden, selbe dadurch
m diesen abnormen Zustand geraten, welcher infolge der zwischen
den Individuen bestehenden psychophysischen Verbindung (Rapport
) sich dann rasch der Gesamtheit mitteilt und in dieser auch
jene Wirkungen äußert, wie im Individuum, von dem die Ekstase
ausging.
Eine, durch ein schreckliches Ereignis veranlaßte plötzliche
allgemeine Gemütserschütterung wird einer derartigen Entstehung
und Verbreitung der Ekstase noch besonders förderlich sein.
Es besteht aber auch die Möglichkeit, daß eine Mehrheit von
Individuen durch einen von außen kommenden, von einem Eksta-
tiker ausgehenden Einfluß in einen ekstatischen Zustand versetzt
und dadurch untereinander psychophysisch verbunden werden,
welchenfalls dana eine von ihm übermittelte Suggestion von jener
Mehrheit wie von einem einzelnen Subjekte einheitlich empfangen
und realisiert werden würde.
Betrachtet man den psychophysisch verbundenen Menschen-
komplex gleichsam als ein Kollektiv-Subjekt, so könnte man den
ersteren Vorgang als eine Kollektiv-Autosuggestion, den letzteren
als eine Kollektiv-Fremdsuggestion bezeichnen.
Das Medium, welches eine Mehrheit von Individuen zu einem
einheitlich empfindenden und wirkenden Komplex vorübergehend
verbindet, ist — von dessen Natur abgesehen — offenbar dasselbe
, welches schon innerhalb des Organismus ein einheitliches
Empfinden und Wirken ermöglicht.
Den Vorgang einer temporären psychophysischen Verbindung
von Individuen zu einer solidarischen Kollektivität hat man sich
vielleicht in der Weise zu denken, daß sich infolge der Ausdehnung
der individuellen Auren diese zu einer Gesamtaura verbinden
, ein Vorgang, auf dem nach Davis und anderen die zwischen
Operator und Subjekt beobachteten Rapporterscheinungen beruhen
.
Betrachtet man z. B. den uns aus der Zeit Kaiser Julians berichteten
Fall im Lichte vorerwähnter Auffassung, so erklären sich
die darin geschilderten verschiedenartigen mystischen Erscheinungen
ganz einfach und ungezwungen als lokale magische Wirkungen
eines in hohem Grade fanatischen christlichen Ekstatikers. Vergegenwärtigt
man sich zur Erleichterung des Verständnisses dieser
wunderbar scheinenden Vorkommnisse das Verhältnis zwischen
Operator und Subjekt, so darf man hierbei nicht außer Acht
lassen, daß die Wirkungskraft des Ekstatikers infolge der in diesem
Zustand freiwerdenden psychischen Potenzen, der Macht seiner
Afiekte und der durch sie belebten Phantasie eine ungleich größere
ist als jene eines gewöhnlichen Hypnotiseurs.
Das hellstrahlende Kreuz in den Wolken, die auf den Kleidern
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