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260 Psychische Studien. XLII1. Jahrg. 6. Heft. (Juni 1916.)
der jüdischen Arbeiter erschienenen Kreuze, sowie die wiederholten
Vereitelungen des Tempelbaues durch Feuerkugeln und Wirbelwind
sind sämtliche als telekinetisch und teleplastisch realisierte
Ideen zu betrachten, wie sie eine durch religiösen Fanatismus
hochgradig erhitzte Phantasie eingibt.
Was das letztere Phänomen anbetrifft, so erscheint es mir
angebracht, um etwaig«* Zweifel zu zerstreuen, die sich in manchem
in bezug auf seinen mystischen Uibpiuug erheben könnten, einen
jenem analogen Fall aus einer viel späteren Zeit auszugsweise hier
anzuführen:
Um das im Jahre 1716—1717 erbaute Griesheimer Jagdhaus
bei Darmstadt erhoben sich heftige Stürme, die dann auf einmal
aufhörten; oft sah man es erleuchtet, wiewohl es unbewohnt war.
Der Rittmeister Fuchs vermaß sich, mit zwanzig auserlesenen
Dragonern, der Sache auf den Grund zu kommen. Die Leute
wurden aber durch Feuer und Stürme verjagt. Im Jahre 1770
ließ der Landgraf von Hessen das Haus des ewigen Spukes wegen
niederreißen. (Magikon II, S. 346 ff.)
So mannigfaltig in Form und Ausdruck wie die divinatorischen
Träume sind auch die Zukünftiges anzeigenden, mystischen Erscheinungen
, was selbstverständlich erscheint, wenn man berücksichtigt
, daß sie tatsächlich nichts anderes sind, als telekinitische
und teleplastische Objektivierungen solcher. Es ist z. B. eine
wohn erbürgte Tatsache, daß Menschen, welche an der Pest
starben, kurz vor ihrem Tode jene bezeichneten, die ihnen demnächst
folgen würden; die ins wache Leben eingreifende divina-
torische Traumphantasie liebt es jedoch nicht, sich in so einfacher
und prosaischer Weise auszudrücken; ihrem Wesen gemäß kleidet
sie ihre Offenbarungen, die ihr aus der Psyche, infolge ihres
innigeren Kontaktes mit der Weltseele, unter Umständen zufließen,
mit Vorliebe in anschauliche poetische, allegorische oder symbolische
Formen: die Erscheinung einer riesenhaften Engelsgestalt
mit entblößtem Schwerte; durch die Straßen verseuchter
Orte wandelnde Schemen, die in Häuser treten, oder an deren
Tore pochen; das Frscheinen von Kreuzen an den Gewändern bestimmter
Personen usw., sind ebensoviele 4usdrucksformen, deren
sich eine extern wirkende, divinatonsche Traumphantasie bedient,
um den nahen Ausbruch einer Seuche oder ihre Todesopfer an-
zudeuten.
Eine einheitliche Erklärung der ganzen Reihe von Erscheinungen
, wie sie hier durch typische Beispiele vertreten sind,
kann nicht gelingen, wenn man die Halluzinationen — seien eb
nun solche des Gesichts, Gehörs oder Gefühls --- als rein subjektive
Erscheinungen betrachtet, denen keinerlei objektive Realität entspricht
. Hingegen begegnet eine solche Erklärung keinen wesentlichen
Schwierigkeiten, wenn man schon den Vorstellungen, Ge-
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