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Kaindl: Teleplastik und Fata Morgana.
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Wohl sind es natürliche Erscheinungen oder Luftbilder, aber
- erkenne man hierin das Mangelhafte alles unseres Wissen! —
ob wir dies gleich mit Bestimmtheit wissen; so ist man in ihrer Erklärung
bis jetzt noch nicht weiter gekommen, als die beiden berühmten
Naturforscher Kircher und Schott bereits im 17. Jahrhundert
waren. Und vielleicht wird sich die Wunderpracht und
das zugleich Natürliche und Künstlerische in der Farbengebung,
das Unerklärliche in der Symmetrie und Anordnung des Ganzen
usw. — vielleicht wird sich dies alles nie ganz befriedigend erklären
lassen.
Die Fata Morgana findet in der Gegend von Rheggio im
mamertinischen Sunde statt, ist selten, und gemeiniglich nur bei
gtoßer Sonnenhitze zu sehen. Die Feen-Bilder sind natürlich nicht
jedesmal dieselben; sie wechseln mit erstaunenswürdigem Reichtum
bei jeder einzelnen Erscheinung unaufhörlich miteinander ab.
Jetzt glaubt man Festungen, Paläste, regelmäßig geordnete Straßen
in der Luft schweb en zu sehen. £ Allmählich verschwinden diese,
und nun erblickt man eine unzählige Menge von Säulen, hier in
langen Reihen, dort gruppenartig geordnet, und zu einem künstlerischen
gefälligen Ganzen verknüpft. Auch diese Szenerie verschwindet
nach und nach wieder, und macht einem anderen, wo
möglich noch prachtvolleren und bewundernswürdigeren Schau-
spiel Platz.
Sofort stellen sich große Waldungen dar, die ihren ungeheuren
Schatten weithin in angenehme Täler werfen, ganze
wohlgeordnete Alleen — gemeiniglich fünf Reihen in paralleler
Linie — von Zypressen, Fichten und anderen Bäumen. Es zeigen
sich, dies sahen neuere Reisende, auf einmal fruchtbare weite
Felder, mit einer Menge Menschen darauf, allerhand ländliche
Gegenstände, kleine und große Herden Viehes — alles in seinei
natürlichen Farbenwechselung, künstlicher Mischung des Lichts
und des Schattens, und so lebhaft, ausdrucksvoll, feenhaft-zauberisch
und prachtvoll, daß nie ein Maler imstande sein wird, solch
ein Zaubergemälde hervorzubringen.
Aber nicht bloß in Siciüen, sondern auch in Mittelindien und
in anderen orientalischen Ländern finden nicht selten ähnliche Erscheinungen
statt. Hier sind solche der Regel nach jedoch nur
im Winter bemerklich, wie umgekehrt dort in den heißesten
Sommertagen.*'
„Die außerordentlichen Lufterscheinungen werden von den
Bewohnern von Meru si-kote (Luftschlösser, oder eigentlich Winterschlösser
), im westlichen Hindostan tehittram (Bilder) und in den,
von dem Tschembul und Dschumna durchfluteten Niederungen
dissaser genannt. Die Perser geben dieser auffallenden optischen
Täuschung, welche schon den Alten bekannt war, den Namen
ser-ab oder sir-ab (geheimnisvolles Wasser), aber so verschieden
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