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Seiling: Zur Frage dar awigen Wiederkunft aller Dinge 273
Was nun Heines etwas unklare Ausführungen betrifft, so
scheinen sie auf den ersten Blick allerdings etwas Ähnliches zu
sagen wie Nietzsches Lehre von der ewigen Wiederkunft aller
Dinge. Bei genauerem Zusehen ergibt sich jedoch, daß Heine
eine Wiederkehr des Menschen auf dieser Erde, also innerhalb
eines der obenerwähnten Weltprozesse im Auge hat. Was ihn
aber von Nietzsche noch mehr unterscheidet, ist der Inhalt des
folgenden Satzes: „Und so wird es einst geschehen, daß wieder
ein Mann geboren wird ganz wie ich, und ein Weib geboren wird
ganz wie Maria, nur daß hoffentlich der Kopf des Mannes etwas
weniger Torheit enthalten mag, und in einem besseren Lande
werden sie sich beide begegnen.'* Die Wiederkehr wird also nach
Heine unter veränderten Verhältnissen (Kopf des Mannes
und besseres Land) eintreten. Infolge dieses Umstandes steht
Heines Idee der Wollen Lehre von der Wiederverkörperung ungleich
näher als Nietzsches sinnloser „ewiger Wiederkunft". Von
einer Vaterschaft Heines bezüglich des Gedankens der Wiederverkörperung
könnte aber keine Rede sein, da dieser Gedanke,
wie von der Schriftleitung bereits hervorgehoben, lange vor Heine
sich vielfach auch anderweitig findet.
Angesichts der Wichtigkeit der das Menschenrätsel wie keine
andere Lehre aufhellenden Reinkarnationsidee darf ich hier vielleicht
bemerken, daß ich b meiner Schrift „Wer war Christus?"
(C. Kühn, München) zahlreiche Aussprüche hervorragender abendländischer
Denker über diese Frage zusammengetragen habe. Was
die wichtigste dieser Stimmen — Goethe — betrifft, habe ich auf
meine früher erschienene Protestschrift „Goethe und der Materialismus
'* (0. Mutze, Leipzig) verwiesen, woselbst ich viele Äußerungen
unseres großen Dichter-Denkers zu der in Rede stehenden
Frage bereits angeführt hatte. Da ich in der Zwischenzeit vier
weitere entdeckt habe und andererseits zur Einsicht gekommen
bin, daß einige der von mir damals beigebrachten Auslassungen
auch anders gedeutet werden können, möchte ich die Stellung
Goethes zum Reinkarnationsgedanken* wie sie sich mir jetzt ergeben
hat, bei dieser Gelegenheit an der Hand der nötigen Zitate
charakterisieren.
Die früheste Spur findet sich in dem (1774 gedichteten)
„Prometheus". Auf die Frage Pandoras: „Und nach dem Tod?'*
antwortet der Menschenbildner:
„Wenn alles — Begier und Freud' und Schmerz —
In stürmendem Genuß sich aufgelöst,
Dann sich erquiekt, in Wonne schläft —
Dann lebst du auf, aufs jüngste wieder auf,
Von neuem zu fürchten, zu hoffen, zu begehren!"
(Es ist verblüffend, in welch naher Übereinstimmung mit der
theosophischen Geheimwissenschaft diese Verse den Zustand des
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