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Kaindl: Zur Kritik des Idealismus,
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objektives, sondern nur ein subjektives Dasein besitzt, und nur in
Vorstellungen und Vorstellungsverbindungen besteht.
Da das vorstellende Subjekt sich nur seiner eigenen Existenz
unmittelbar gewiß ist, jedes fremde Ich ihm aber nur als ein Bestandteil
jener Außenwelt erscheint, deren objektive Realität verneint
wird, so sieht sich der Idealismus im Solipsismus
folgerichtigerweise gezwungen, alle übrigen denkenden Subjekte
gleichfalls nur als Vorstellungen eines einzigen, seiner Existenz sich
unmittelbar gewissen Subjektes gelten zu lassen. Nach dem
Solipsismus verschwindet die wirkliche Welt und damit auch jedes
fremde Ich mit unserer Wahrnehmungsfähigkeit. Da sie aber
trotzdem in der Wahrnehmung des anderen Ich fortbesteht, so beweist
dies die Realität ihrer von uns unabhängigen objektiven
Existenz. Wenn aber diese Ich oder Subjekte, die für uns einen
Teil der außer uns bestehenden Welt ausmachen, noch fortbestehen,
so ist nicht einzusehen, warum dies nicht auch mit der ganzen
objektiven Welt der Fall sein sollte. Aus der Tatsache, daß das
Weltbild individuell verschieden erscheint, zu folgern, daß es eine
rein subjektive Erscheinung sei, der keine wirkliche Welt als Objekt
entspricht, erscheint mir ebenso verfehlt, wie aus der Tatsache,
daß Convex-, Concav- und Planspiegel voneinander abweichende
Bilder eines Gegenstandes zeigen, zu schließen, daß kein wirkliches
Objekt dafür vorhanden sein könne. Diese Parallele wird
besonders jenen als angebracht erscheinen, welche sich gleich mir
für die Definition der Vorstellung entscheiden, die H ä c k e 1 in
seinen „Welträtseln'* wie folgt befürwortet: „Unter den zahlreichen
widersprechenden Definitionen, welche die Psychologen von
dem Begriffe der Vorstellung (Dokesis) gegeben haben, halten
wir diejenige für die zweckmäßigste, welche darin das innere Bild
des äußeren Objektes erblickt, welches durch die Empfindung vermittelt
ist (Idee in gewissem Sinne)*'.
Der Idealismus hat, um sich das Daseinsrätsel zu vereinfachen
und erklärlicher zu machen, die Welt in ihrer Vielgestaltigkeit
begrifflich auf die Vorstellung und das Ich reduziert, aber abgesehen
davon, daß jene dadurch keineswegs begreiflicher geworden
ist, hat er das vorstellende Subjekt als das größte aller
Rätsel zurückgelassen. Nach den Lehren des Idealismus bleibt es
ganz unbegreiflich, warum zwischen Vorstellung und sinnlicher Erfahrung
, also zwischen der inneren Realität und einer bloßen
Fiktion, Übereinstimmung und gesetzmäßiger Zusammenhang bestehen
sollten; warum sich z. B. die Vorstellung ins Ungeahnte erweitert
, wenn sich der Fiktion der Sinneserfahrung fiktiverweise
durch die Fiktion der Erfindung optischer, die eingebildeten Sinne
verschärfender Instrumente, wie das Mikro- und Teleskop, gleichsam
neue Welten zu erschließen scheinen.
Ohne auf alle der gesunden Vernunft widerstreitenden Un-
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