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324 Psychische Studien. XLIII. Jahrgang. 7. Heft. (Juli 1916)
Wahrscheinlichkeiten des Idealismus hier näher einzugehen, ziehe
ich vor, ihn selbst in einem seiner eifrigsten Verfechter hier zu
Worte kommen zu lassen. Es ist dies der Dichter und Philosoph
Robert Hamerling, der in seiner „Atomistik des Willens"
unter anderem folgendes sagt: „Was du den Baum, die Rose
nennst, das existiert nicht ohne dich und außer dir; ohne dich und
außer dir existieren nur die Bedingungen, durch welche das, was
du den Baum, die Rose nennst, in deiner Anschauung zustande
kommt. Was wir den Baum, die Rose nennen, ist nicht der Gegenstand
, wie er an und für sich ist, sondern wie er für uns ist. Nun
tritt vielleicht jemand auf und entgegnet: Nun ja, ich unterscheide
zwischen der Vorstellung, der Anschauung des Gegenstandes in
uns und dem Gegenstand außer uns. Aber der Gegenstand und
meine Anschauung sind einander gleich: die Einwirkung des
Gegenstandes auf mich besteht eben darin, daß er in mir die
Anschauung seiner Wesenheit erweckt. Es ist eben der Gegenstand
an sich, den ich mir gleichsam wiederhole, indem ich ihn
anschaue und vorstelle. Wer so sprechen könnte, der hätte eben
von der Theorie des Idealismus nicht das Mindeste verstanden
und man müßte ihn neuerdings fragen: Du denkst also, daß es
neben dem Geruch in der Nase des Riechenden auch noch einen
Geruch außerhalb der Nase, neben dem Klang im Ohr auch noch
einen Klang außerhalb des Ohres, neben Licht und Farbe im
Auge, auch noch Licht und Farbe außerhalb des Auges gebe, neben
dem Anschauungsbild in deinem Gesichtssinn auch noch ein ganz
gleiches Bild außerhalb desselben vorhanden sei? Halte doch
fünf Minuten lang fest, daß das, was den Klang in deinem Ohr
bewirkt, außer dir nicht wieder ein Klang, sondern Luftschwingungen
sind — daß das, was Licht und Farbe in deinem
Auge bewirkt, außerhalb dir nicht wieder Licht und Farbe, sondern
Ätherschwingungen sind — daß das, was ein bestimmtes räumliches
Anschauungsbild in deinem Gesichtssinne bewirkt, außer dir
nicht wieder dasselbe Gesichtsbild, sondern das Resultat von Einwirkungen
ist, welche deine Siane veranlassen, ihre formgebende
Tätigkeit nach den ihnen eingebornen physikalischen und physiologischen
Gesetzen zu entfalten.'* —
Hierauf läßt sich erwidern, daß, wenn, wie Aristoteles
lehrt, das Wesen der Dinge, das wir unter dem Begriffe der Dinge
denken, in ihrer Form liegt, der Einwurf, daß «die Einwirkung des
Gegenstandes auf uns darin bestehe, daß er in uns die Anschauung
seines Wesens erwecke, den Hamerling dem Durchschnittsverstand
in den Mund legt, durchaus nicht absurd, sondern wohl begründet
erscheint, indem wir gleich einer photographischen Platte von jedem
Dinge vermöge der von ihm in eigentümlicher Weise reflektierten
Lichtstrahlen ein Bild seiner charakteristischen Form und somit einen
richtigen Eindruck seines Wesens empfangen. So wenig sich Kraft
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