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374 Psychische Stadien. XLIIL Jahrg. 8. Heft. (August 1916.)
(34). Und jeder Versuch, irgend ein anderes erfahrenes Ding an
die Stelle des Wassers zu setzen, ist natürlich ebenso verkehrt.
Wir dürfen etwas, was selbst nur einen Teil der Erfahrung bildet,
niemals in solcher Weise verallgemeinern und allem erfahrenen
Dasein als gemeinsamen unveränderlichen Kern zugrunde legen
(33); denn damit widersprechen wir nicht nur der Erfahrung, die
uns ja die Veränderlichkeit aller gegebenen Einzeldinge lehrt,
sondern wir verstoßen auch gegen den Satz der Identität: darin
hat Petzold (31) ohne Zweifel recht. Aber sein Einwand
trifft doch auch nur die fehlerhaften Versuche, irgend ein Ding
der Erfahrung für das wahre und unveränderliche Wesen
der Welt auszugeben. Aber es trifft nicht den Gedanken einer
Substanz, die den gegebenen Erscheinungen oder veränderlichen
Dingen der Erfahrung als ihr wahres Wesen nur „zugrunde liegt*'
und selbst unerfahrbar ist (34). Und wenn Petzold schließlich
behauptet: dieser Gedanke sei „überhaupt nicht vollziehbar'*:
Substanz sei „nur die Benennung einer unklaren Vorstellung, die
sich von anderen nicht durch die Sinnesqualitäten, aus denen sie
zusammengesetzt ist," unterscheide, „sondern ganz allgemein durch
ihre Unklarheit" (46): so trägt er in den Begriff der Substanz
wieder sein eigenes empiristisches Vorurteil hinein, nach dem wir
uns nichts ohne sinnliche Qualitäten sollen denken können
(198, 186). —
So bleibt von allen Einwänden P e t z o 1 d s nur die Tatsache
übrig, daß wir ein unveränderliches, in sich selbst beharrendes
Sein weder in der äußeren noch in der inneren Wahrnehmung
jemals vorfinden. „Die absolut beharrende Substanz
ist nie Gegenstand der Erfahrung" (46). Sie ist zunächst nichts
weiter als „ein Hirngespinst" (46) oder „ein reines Gedankending
, von dem die Wirklichkeit (d. h. die Wirklichkeit unserer sinnlichen
Erfahrung) nichts weiß" (35). Und wenn wir ihr dennoch
ein von uns unabhängiges, nicht bloß vorgestelltes Sein zuschreiben
dürfen, so ist es jedenfalls nur ein transzendentes und
hypothetisches, außerbewußtes, unerf ahrbares und geraut-
m a ß t e s S e i n. Ob sie aber ein solches wirkliches Sein hat
und mehr ist als ein bloßes Hirngespinst unseres Denkens ohne
jede objektive Wahrheit, das ist zunächst eine offene Frage, deren
Entscheidung in der Hauptsache davon abhängt, ob wir die Substanz
zum Verständnis der Erfahrung und zum begrifflichen Abschluß
unseres Weltbildes brauchen.
Petzold bestreitet dies. Er meint: die Substanz sei „auch
zum Verständnis der Erfahrung nicht erforderlich": wie denn zu
solchem Verständnis nie etwas notwendig sei, was wir nicht aufweisen
, nicht erfahren können (46). Aber diese Meinung, nach
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