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Kurze Notizen
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warmherzige Nekrolog Ludwig Deinhards gewidmet ist. Jedenfalls
würde ich es für richtiger empfinden, eine nicht mehr genau
festzustellende Tatsache mit einem ,non liquet!* als mit der Erregung
eines Verdachtes gegen einen verstorbenen Zeugen dieser
Tatsache zu verabschieden. [Ganz einverstanden! Red.]
Mit der höflichen Bitte, von dieser meiner Auffassung in den
»Psych. Studien* Notiz nehmen zu wollen, zeichne ich hochachtungsvoll
Ihr ergebener A. W. Sellin.**
Kurze Notizen.
a) Der polnische Dichter Mizkiewicz
als Hellseher bei Goethe. In der reichhaltigen,
von unseren Feldgrauen viel gelesenen „Zeitung für die X. Armee
(zu Wilna erscheinend, Schriftleiter ist Leutnant d. Res. Urbach)
finden wir in dem Beitrag „Mizkiewicz und Goethe** in Nr. 96
vom 28. Juni 1916 im Beiblatt, 74. Liebesgabe zur A. Z., folgenden
Vorfall mitgeteilt. Der junge polnische Dichter war gerade in
Weimar in den Tagen der achtzigjährigen Geburtsfeier Goethes
anwesend vom 18. August an und wurde von Ottilie v. Goethe
überredet, der Feier am 28, August beizuwohnen. Am Vorabend
fand ein Empfang der Gäste statt. Aber es mag Goethe einiges
Unbehagen bereitet haben und es ging etwas förmlich her. Dann
heißt es weiter: „Erst folgender Vorfall brachte Leben in die Gesellschaft
: Jemand sprach zufällig über Gedankenlesen u. dgl.,
da erbot sich Mizkiewicz, der sich bis dahin ziemlich
zurückgezogen und schweigsam verhielt, zu einer Probe.
Er schlug vor, eine jede der anwesenden Damen solle,
ohne daß er es sehe, einen kleinen Gegenstand, den
sie gerade bei sich trage, auf den Teller legen. Man
sammelte ein und überreichte Mizkiewicz den Teller, auf dem ungefähr
20 Ringe lagen. Der polnische Dichter zog sich für einen
Augenblick zurück. Als er zur Gesellschaft zurückkehrte, war er
kreidebleich, Schweiß bedeckte seine Stirn und seine Augen glühten
unheimlich. Er schritt auf eine der Damen zu und, in den Teller
greifend, überreichte er ihr Pfand, wobei er ihr einige Worte zuflüsterte
. Dann wandte er sich zur nächsten; was er sprach, konnte
sonst niemand hören. Doch schien es zutreffend zu sein, da jede
verlegen wurde, die ganze Gesellschaft aber, die es anfangs für
auf Seite 334 die Möglichkeit einer Täuschung zu, wonach der bloße
Glaube an die Mitwirkung unsichtbarer Helfer „nur ein ihn sicher«
lieh beglückender Wahn* gewesen wäre. Wer hätte aber damals
diesen Glauben in einem unbewachten Augenblick anders bewirken
können als der mitfahrende Amerikaner, der Mitarbeiter der von
Dr. Hodgson nachher als Betrügerin „entlarvten* Frau Blavatsky ?
Maier,
26*
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