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Grävellr Besessenheit
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sonders in Schwingung. Ihr kann man dann schwer widerstehen.
Dann entstehen geistige Injektionen, die zu Epidemien führen. In
manchen Gegenden hat man das Gefühl, mit Wahnsinnigen zu
tun zu haben, so stehen sie unter dem Einflüsse solcher Suggestionen
. Leidenschaftiche und infolge dessen moralisch schwache
Personen sind ihnen natürlich leicht ausgesetzt. Auch macht die
Konjunktur der Gestirne dabei einen Unterschied, wie man schon
im Mittelalter wußte. Nicht umsonst spricht man von Sommerwahnsinn
, wie man bei Shakespeare nachlesen kann. [Es kann
sogar vorkommen, daß im Jenseits manchmal sozusagen der Teufel
los ist, wie bei Kriegszeiten, wo dort ein großes Reinemachen
stattfindet. Die höheren Etagen des Hauses müssen auch gelüftet
werden. So berichtet Friese in seinem Werk über das
Jenseits, daß manchmal ein Brand entstände, weil die Seelen neue
Plätze brauchten. (Man lese dies in dem bei Mutze erschienenen
interessanten Buche nach.) Ähnlich mag es auch bei manchen
Kriegen sein.]*)
Auch gewöhnliche physische Krankheiten sind eine Art
Besessenheit. Sie entstehen dadurch, daß man früher sich einseitigen
Gedanken hingegeben hat. Dadurch wird man mit einer
physischen Schwäche bebstet. Nicht ohne Grund war Schiller
brustkrank. Die Ursache lag in einem früheren Leben. Jeder
wird aber in die Familie hineingeboren, in die er nach seiner
früheren moralischen Schwäche paßt, weil sie physisch diese
Schwäche verkörpert. Dahet kann sich auch niemand über angebliche
Ungerechtigkeit beklagen. [Man liest oft von Personen,
die eine ^doppelte Persönlichkeit" haben, d. h. von mehreren Abgestorbenen
nach einander in Besitz genommen wurden. Hätten
diese sich gestärkt, so könnten sie nicht in Besitz eines anderen geraten
— so wenig wie ein neutraler Staat angegriffen werden
wird, der gelernt hat, Achtung durch seine Stärke einzuflößen.
Die Obsessionsversuche machen sich in der Regel erst im Schlafe
bemerkbar. Man sieht dann Köpfe oder ganze Menschen oder
auch tierartige Wesen, z. B. Fische, wie sie bei Höllenbreughel
beliebt sind, die sich nähern. Die Seele erkennt dann an dem
Entsetzen, das sie erfaßt, daß ihr Gefahr droht. Gebet schützt
am besten.]
Es schwirren aber geistige Krankheitskeime in der Luft. Sie
werden von dazu neigenden Personen aufgenommen und angesteckt
. Gustav Jäger sagt: Krankheit ist Gestank.
Man könnte besser sagen: Krankheit ist Geistesschwäche.
Die Alten dachten sich die Krankheit so, daß Teufel in den
Körper eingingen. Das ist ganz richtig. Man kann die schlechten
*) Wir betrachten obige Anschauungen vorerst als unerwiesen,
bezw. unbeweisbar. - Red.
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