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438 Psychische Studien. XLII1. Jahrg. 9-10. Heft. (Sept.-Okt. 1916.)
Ideale durch Aufschwung von Geist, Gemüt und starkes, edles
Wollen den Fluren und Wassern des Lebens zur Befruchtung des
Seins zu überantworten, um alle Wesen zu erleuchten und zu beglücken
, altruistische Gegenseitigkeit als Norm der Welten zu verkündigen
.
M u i d e r b e r g in het Gooi, bei Amsterd., den 7. Okt. 1915.
Fechner und die Allbeseelung:.
Von Fr. S c h a a 1, Geislingen.
Fechner (geb. 1801, gest. 1867) wird immer neben Weber
und Wundt genannt, wenn es sich um die Psychophysik handelt.
Diese Wissenschaft befaßt sich zunächst mit seelischen Vorgängen,
bringt dieselben aber in Beziehung zu körperlichen Zuständen.
Nach ihr entspricht jeder seelischen Äußerung (Empfindung)
irgend eine Einwirkung auf den Körper (Reiz). Empfindung
und Reiz stehen in einem ganz bestimmten Verhältnis zueinander
. Zu schwache Reize werden nicht empfunden. Die Empfindung
wächst in einem anderen, sozusagen schwächeren Verhältnis
wie der Reiz. Überaus starken Reizen entspricht also nicht
eine ebenso starke Empfindung. Gefühlswallungen beeinflussen
Blutumlauf, Gesichtsfarbe u. dgl. Kurz, Leib und Seele bilden
eine innige Gemeinschaft. Wenn ein Teil leidet, dann leidet auch
der andere. Den seelischen Vorgängen gehen leibliche parallel;
daher spricht man auch von einem psychophysischen Parallelismus.
Auf diese Lehre vom psychophysischen Parallelismus, die später
weiter ausgebaut und viel erörtert wurde, gründete Fechner seine
ganz eigenartige Weltanschauung von der Allbeseelung. Immer
vom Gegebenen ausgehend und von tiefem religiösen Empfinden
beseelt, das besonders in seiner „Tagesansicht gegenüber der Nachtansicht
" und in seinem „Büchlein von dem Leben nach dem Tode"
zum Ausdruck kommt, gelangt er doch zu Folgerungen, die einesteils
dem nüchternen Denken, andernteils den herrschenden religiösen
Ansichten ganz und gar zu widersprechen scheinen. Von
einer Allbeseelung hört man gegenwärtig dann und wann reden,
und selbst Häckel schreibt den Atomen irgend eine Art von Empfindung
zu, aber Fechner bewegt sich auf einem Gebiet, auf dem
ihm wenige gefolgt sind, da all das, was er-zu sagen hat, auf den
ersten Blick so fremdartig, so traumhaft phantastisch anmutet.
Man hat ihm schon zu seinen Lebzeiten widersprochen, aber man
wagte es nicht, dem ehrwürdigen Manne, der noch in seinem
80. Lebensjahr seine „Tagesansicht gegenüber der Nachtansicht"
schrieb, zu nahe zu treten, und er hat seither schon manchen
stillen Verehrer gefunden, wenn seine Freunde auch nicht in allen
Stücken ihm beipflichten können. Fechner ist Naturforscher,
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