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Kurze Notizen.
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der anderen kein Unterschied bestehe, eine andere Meinung von
dem „Innenleben" der Hennen beibringen will. „Das Huhn hat",
heißt es in dem Artikel, der sich als „psychologische Studie" bezeichnet
„in seiner Stimme verschiedene Nuancen, die auch verschiedene
Stimmungen zum Ausdruck bringen. Diese Töne sind
bei demselben Huhn stets gleich, zeigen aber unter den verschiedenen
Hühnern mannigfache Abweichungen, was beweist, daß
das individuelle Wesen hierbei eine Rolle spielt. Die Artikulation
der Hühner ist so charakteristisch, daß man sie, wenn man sie einige
Male gehört hat, niemals wieder verwechseln kann. Die Laute
zeigen überdies mit dem jeweiligen Gefühls- und Sinnenleben enge
Uebereinstimmung. Das Huhn hat für jeden Ausdruck des Affekts
einen besonderen Laut. Nicht einmal der intelligente Hund hat
für seine Gefühlsäußerungen ein so mannigfaches Ausdrucksvermögen
zur Verfügung." Man sieht, der Aufsatz widerspricht allem, was
wir bisher über das Huhn dachten, und wir haben allen Grund,
ihm Abbitte dafür zu leisten, daß wir es der Dummheit bezichtigt
haben; denn man kann unmöglich ein Tier unintelligent
nennen, das, wie Schjeldrupp versichert, über mehr als dreizehn
verschiedene Nuancen zum Ausdruck der wechselnden Stimmungen
seines Innenlebens verfügt. Es gibt Bruttöne, die nur für die
Henne typisch, und Wollusttöne, die nur dem Hahn eigen sind.
g) Ein merkwürdiger Fall von Nachtwandeln
. Ein seltener Fall von Nachtwandeln ist in einer
Universitätstklinik in Prag beobachtet worden. Es wurde dort ein
16 Jahre alter herzleidender Raseurlehrling behandelt, dessen
Herzbeschwerden derart heftig waren, daß er auch den geringsten
körperlichen Anstrengungen nicht gewachsen war und es ihm nicht
möglich war, auch nur wenige Schritte ohne Hilfe zurückzulegen.
In einer Jännernacht um 1 Uhr wurde bemerkt, daß das Bett des
Patienten leer war, und es wurde nun das ganze Haus und der
Hof in der kalten und regnerischen Nacht durchsucht. Alle Nach-
forschungen blieben erfolglos, bis der Patient selbst von außen an
das Fenster eines mit verwundeten und kranken Soldaten belegten
Zimmers klopfte. Um 5 Uhr wurde er hier hereingelassen, er
klagte nur über Kälte und schlief sofort ein. Als er des Morgens
erwachte, konnte er über den ganzen Vorfall keine weitere Auskunft
geben. Das Ungewöhnliche der Erscheinung bestand darin,
daß der Patient in schwindelnder Höhe in stürmischer Nacht über
schmale, schlüpfrige Fensterbretter, die durchschnittlich einen
Meter voneinander entfernt waren, seinen Weg gemacht hatte.
Die körperliche Anstrengung, die dieser Weg im Wachzustand erfordert
hätte, wäre ziemlich beträchtlich gewesen. Der Patient
hatte sich wahrscheinlich vier Stunden, mindestens aber zwei längs
der Mauer des Pavillons bewegt. Das Merkwürdigste war aber,
daß dieser nächtliche Ausgang den schwer herzkranken Patienten
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