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Falkeisen: Das Jenseits und die christliche Hoffnung. 483
wollen, die noch schwach begangenen Pfade, die zur Erforschung
des „anderen Lebens" führen, in gutgebaute Straßen umzuwandeln.
Gerade dort, wo das meiste Interesse dafür sich finden sollte, nämlich
innerhalb unserer Kirchen und christlichen Kreise, da fehlt
— wie schon angedeutet — das Verständnis für diese Aufgabe
gänzlich, ja man steht ihr mit bitterer Feindschaft ablehnend
gegenüber und bringt alle möglichen Gründe vor, um diese feindliche
Haltung zu rechtfertigen. Sie gipfeln in der Behauptung,
die wir schon erwähnt, daß das „Wort Gottes" solche Forschungen
geradezu verbiete. Allein, trotz dieser scheinbar korrekten
Haltung könnte es eben doch sein, daß der Widerstand gegen die
große Bewegung, welche seit der Mitte des vorigen Jahrhundert»
eingesetzt hat und deren Hauptzweck es ist, das Fortleben der
Seele nach dem Sterben zu beweisen, daß dieser Widerstand der
Kirchen gegen den Spiritismus — sage ich — ein ähnlicher Vorgang
ist, wie er bisher schon mehrmals sich abgespielt hat. — Prof.
James Hyslop sagt irgendwo*) mit Bezug auf unseren Fall überaus
treffend: „Die Kirche hat das verhängnisvolle Talent bewiesen,
sich immer mit verlorenen Positionen zu verbünden**. Er führt
hierauf einige Fälle an, wie z. B. den Widerstand gegen das
kopernikanische Weltsystem, gegen die Kugelgestalt der Erde,
gegen die Geologie in betreff des Sechs-Tagewerkes usw. und
kommt zu dem Ergebnis: „nicht einen einzigen Sieg hat sie
gegen die Wissenschaft errungen!** — Wahrlich, auch in unserem
Kampfe wird sie noch die Waffen strecken müssen!
Der Widerstand der cKristlichen Kreise ist diesesmal viel unbegreiflicher
, als in allen anderen Fällen vergangener Zeiten, die
man etwa aufzählen kann. Denn, wenn nun einmal „die himmlische
Seligkeit** das Ziel des christlichen Lebens ist und die
„Heimat der Seele** jenseits des Grabes liegt, so sollte sich doch
naturgemäß das Bestreben regen, etwas Genaueres über diese zukünftige
Heimat zu erfahren! Es gilt freilich als ein Grundsatz,
man müsse „glauben, ohne zu schauen**. Er soll gewiß nicht angetastet
werden, wo er an seinem Platze ist, aber verkehrt ist es,
ihn als Losungswort zu wählen, wenn wir an irgend eine Forschung
uns begeben, verkehrt ist es, wenn viele fromme Seelen ihren sog.
„kindlichen** Glauben, d. h. ihre verderbliche Neigung, alles mögliche
ins Blaue hinein zu phantasieren und zu „glauben**, damit
beschönigen wollen, verkehrt ist es, wenn wir uns durch dieses
Wort davon abhalten lassen, unseren „Glauben", d. h. unsere Anschauungen
über lebenswichtige Dinge auf einer sicheren Grundlage
aufzubauen. — Mit wahrhaft rührender Bescheidenheit hat
man sich bisher mit den spärlichen Andeutungen des Neuen Testa-
*) In s. Werke „Probleme der Seeleoforschung" im letzten
Kapitel.
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