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486 Psychische Studien. XLII1. Jahrg. 11. Heft (November 1916)
Menschen wirken. Oder sollen wir annehmen, daß alle, die für
letztere unempfänglich sind, von vornherein zu den „Verlorenen"
gehören? Sodann gibt es eine große Zahl von Menschen, die
solchen Bekehrungsversuchen ganz aus dem Wege gehen, obschon
sie für die Wahrheit gewiß nicht unzugänglich sind. Sodann
ließe sich über den Wert auf solche Weise zustandegekommener
Bekehrungen immer noch streiten. Auch wird man unschwer die
Beobachtung machen, daß es nicht die selbständig denkenden
und entwickelteren Geister sind, die sich auf diesem Wege beeinflussen
lassen. Kurz, es läßt sich kaum bestreiten, daß sich die
breiten Massen dem Einfluß des „Evangeliums4*, wie es heute
verkündigt wird, immer mehr entziehen. Aber es fragt sich, ob
sie nicht aufhorchten, wenn sie inne würden, daß dieselben Wahrheiten
, die bisher nur in der Luft zu schweben schienen, nun auf
einem sicheren Grunde stehen. Vor allem würden sich die Entwickelten
und die Gebildeten, die für die hypnotische Beeinflussung
der Erweckungsveranstaltungen sehr wenig zugänglich
sind, durch Beweise viel eher, ja durch d i e s e a 11 e i n — von
der Richtigkeit gewisser Wahrheiten überführen lassen.
Die Beweise, wie sie hier gemeint sind, wären aber vielleicht
imstande eine noch gar nicht vorhergesehene Wirkung auf die
Art und Weise, wie heute das „Evangelium*' verkündigt wird, auszuüben
. Es läßt sich nämlich im Ernste die Frage stellen, ob
der „Weg des Heils**, wie er noch im allgemeinen angepriesen
wird, ob die Vorstellungen von dem Zusammenhang mit dem
„Erlöser**, von der Mitwirkung Gottes oder des Heiligen Geistes,
von der „Hilfe Gottes** und dem Zustandekommen der „Gebets-
erhörungen** und namentlich von der „Seligkeit im Jenseits'* und
Anderes mehr der Wirklichkeil und Wahrheit entsprechen! —
Einem aufmerksamen und nachdenkenden Menschen müssen in
unzähligen Fällen Bedenken aufstoßen, ob auch alles das, was in
christlichen Kreisen ohne Überlegung einfach fröhlich „angenommen
" wird, sich auch in der Tat so verhalte, und es läßt sich
die Vermutung nicht von der Hand weisen, daß sich diese
Gläubigen in vielen wichtigen Punkten in argen Täuschungen bewegen
. Wie sollen wir aber den Dingen auf den Grund kommen?
— Der einzig zuverlässige Weg wäre doch wohl der, von solchen,
die vom „Glauben zum Schauen" gekommen sind, wie man sich
so gerne auszudrücken beliebt, einmal etwas über derartige Dinge
zu hören. Da würde sich wohl manche mit viel Liebe und Inbrunst
gehegte Vorstellung als ein Wahngebilde und als ein „Betrug
des Satans" ausweisen. Verschiedene bekannt gewordene
Aussagen lassen darauf schließen, daß sich im Ienseits vieles ganz
anders gestaltet, als wir meinen, und wiederum anderes, was wir
ohne Nachdenken als vorhanden annehmen, gar nicht vorhanden
ist. — Auf jedem anderen Gebiete versucht man der Wahrheit
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