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528 Psychische Stadien. XLIII. Jahrg. 12. Heft. (Dezember 1916.)
Plasmakörperchen, die nur pflanzliche Urzellen sind, als „Geißeltierchen
** bezeichnet. Dahin gehören auch die zierlichen und so
trägen Wurzelfüßler und all die Amöben, die mit und ohne ihr£n
zarten Schalenpanzer den Schlamm unserer Gewässer und auch
die Humusschicht unter den Moospolstern unserer Wälder beleben.
Wenn man eine dieser einzelligen Pflanzen, das gewöhnlich als
Infusor bezeichnete Wimpertierchen, leise berührt, macht sie
plötzlich die lebhaftesten Sprünge. Das beweist, daß in dem noch
nicht ein Zehntelmillimeter großen Korperchen der ganze \ erwickelte
Mechanismus lebendig ist, der bei uns Menschen erforderlich
ist, um eine unangenehme Berührung mit der nötigen
Abwehrhandlung zu beantworten. Das Wunder der Pflanzenseele
aber entschleiert sich unseren Augen unter dem Mikroskop au
klarsten bei der sog. Bikosöka, einem Geißeltierchen, das sich um
seine einzige kleine Körperzelle einen glashellen, zierlichen Becher
als Panzer erbaut hat. An einem haarfeinen Fädchen hat es sich
darin feslgehängt und mit einem anderen Härchen wirbelt es
draußen im Wasser herum, um sich Nahrung, Bakterien, heraus-
zustrudeln, was allein schon, wie auch France richtig sagt:
„in seiner zweckgerechten Weise eine Handlung, daher ein vollgültiger
Beweis für die psychische Energie dieses Wesens wäre/'
Noch unzweifelhafter aber wird dieser Beweis dadurch, daß sich
alle Augenblicke, so oft ein gefahrdrohender Reiz, z. B. die Berührung
mit einem größeren Infusor die Bikosöka trifft, sie sich
schnell wie ein Blitz zusammenrollt und auch schon im gleichen
Moment in ihren Glaspanzer zurückschnellt, wohin sie der Ankerfaden
ihres kleinen Körpers wie ein kraftv oller Muskel zurückreißt.
Den höchstentwickelten unter den Pflanzen kann man Empfindung,
Fühlen, Vorstellen und Wollen und, wie aus dem Beispiel der
Bikosöka hervorgeht, Urteilskraft und Fähigkeit zur Selbsthilfe
nicht mehr absprechen. Diese Erkenntnis hat neuerdings auch
A. 0 e 1 z e 11 - Newin in seinen „Beobachtungen über das Leben
der Protozoen*' herausgearbeitet. Wenn allerdings diese seelischen
Fähigkeiten bei den Infusorien und Algen so ohne weiteres in die
Augen springen, hat das seine Ursache darin, daß diese Pflanzen
ihre in ihnen schlummernden Eigenschaften durch den schweren
Kampf in den Nöten ihrer so arg gefährdeten Existenz aufs höchste
gesteigert und entwickelt haben — jedenfalls besser als die einseitig
gewordenen, spezialisierten Zellen im Gewebeverband der
Gewächse, die im Grunde auch nichts anderes bedeuten, als enorm
vergrößerte und zu vollkommener Arbeitsteilung gelangte Einzeller.
Wir verbinden mit unserer Vorstellung von einer den ganzen
Körper in Aktion setzenden Seelentätigkeit auch das Vorhandensein
von leitenden Nerven, die die Eindrücke der Außenwelt
empfangen und zum Gehirn vermitteln. Solche Empfangsapparate
für die Pflanzenpsyche liegen bei den Pflanzen in den feinen
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