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Falkeisen: Das Jenseits und die christliche Hoffnung. 537
betrifft, sind diese Ausführungen vollkommen richtig, es wird
nur — wie wir schon sagten — dabei vollständig übersehen, daß
diese großen „Politiker" sonderbarerweise auch zugleich große
Mantiker waren und daß sich „Gott" gerade durch diese Männer
offenbarte und durch ihre im Namen Gottes vollbrachten1 Taten,
die Beweise einer ihnen gegebenen übersinnlichen Macht, das Volk
seine Vorstellungen eines allmächtigen Gottes erhielt und sie nicht
etwa aus philosophischen oder theologischen Spekulationen
schöpfte! Diese mit übermenschlichen Kräften begabten Männer
waren die Organe, durch die sich Gott seinem Volke offenbarte.
Auf welche Weise hätte er sich denn sonst offenbaren sollen?
Es geht nun eben einmal nicht an, diese „Prophetengestalten"
uns dadurch sympathischer zu machen und näher zu rücken
— d. h. unseren unvollkommenen Begriffen —, daß man sie
ihrer außergewöhnlichen Fähigkeiten entkleidet und in scharfsinnige
Politiker verwandelt!
Die Mißachtung der göttlich beglaubigten Propheten und
Ordnungen war die Ursache des Unterganges der Nation, niemals
aber die Pflege und Ausübung höherer
Begabungen an sich! — Es ist leicht verständlich,
daß sich neben den hochbegabten — wie es ja gewöhnlich auf
allen Gebieten der Fall ist — eine große Zahl minderbegabte und
in sittlicher Hinsicht tiefstehende, mitunter gewissenlose Seher und
Mantiker breit machten und das Volk irre führten, d. h. seinen
niedrigen Instinkten fröhnten, oder sich selbst durch die verkehrten
Gedanken derer, die sie befragten, verwirren und zu falschen
Aussagen verleiten ließen und auf diese Weise einen verderblichen
Einfluß ausübten. Es wird ja öfter berichtet, wie sich die göttlichen
, d. h. hochstehenden und durch und durch wahrhaftigen
und klarblickenden Seher und Propheten gegen die falschen Pro-
pheten verteidigen mußten. Das einzige Verteidigüngsmittel, das
ihnen nun zur Verfügung stand, war das Experiment auf
die Zuverlässigkeit ihrer Aussagen, d. h. ihre
Vorhersagungen pflegten mit Sicherheit einzutreffen, die der
anderen jedoch nicht (5. Mos. 18, 20—22; 1. Kön. leu, 22;
2. Kön. 3, 13—20; Jer. 28). Ferner verstanden sich die
Propheten auf allerlei merkwürdige magische Kunststücke, die ja
allgemein bekannt sind und darum nicht aufgeführt zu werden
brauchen. — Aus dem Gesagten ist ferner klar ersichtlich, daß,
vom biblischen Standpunkte aus gesehen, das Verlangen etwa einmal
in schwierigen Fällen einen Rat aus höherer zuverlässiger
Quelle zu erhalten, keineswegs als etwas Verwerfliches zu betrachten
ist. Für Israel waren die verschiedenen Möglichkeiten,
sich allerlei Rat und Hilfe höherer Art beschaffen zu können,
geradezu ein Beweis der Nähe seines Gottes. Man war weit davon
entfernt das Verlangen darnach als Kleinglauben oder Aber-
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