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16 Psychische Studien- XL1V. Jahrgang. 1. Heft (Jauuar 1917.)
in historischer Zeit, namentlich bei den Römern. Nicht umsonst
wurden manche Geräte heilig gehalten, Schwerter, Schilder und
Lanzen, Fahnen und dergleichen. Die römischen Feldzeichen waren
Heiligtümer und hatten einen eigenen Kultus, der dann auf die
christlichen Heilszeichen überging. Noch heute herrschen solche
alte Gebräuche im Heere und Fahnen, die eine gute Aura in sich
haben, können auch heute noch zum Siege führen.
Ich habe ein Mal im „Evangelischen Heidenboten'4 vom Sept.
1913 das Folgende gelesen: Missionar Spieth sah bei Tschikhnal
(in Indien), wie eine Mutter ihr krankes Kind durch einen hohlen
Baum zog, damit der Geist, der darin vermutet wurde, es gesund
mache! Hier erkennt man also die Überschattung|durch eine Pflanze,
resp. den dahinter befindlichen Geist. (Die Griechen würden sagen
Dryade). Manche Menschen stehen ohneZweife! in einem bestimmten
Verhältnis zu einem Baume, wie es z. B. von der Jungfrau von
Orleans behauptet wird. Die Weissagung durch Bäume hängt ja
damit zusammen. Naturgetster halten sich augenscheinlich in gewissen
Bäumen auf: wer nun in seinen innern Körpern etwas von
diesem Baum in sich hat, der kann zu dieser Naturkraft in Beziehung
treten. Die alten Sagen von der Und ine und ähnliche
brauchen keineswegs auf Aberglauben zu beruhen.
Die ganze Natur ist belebt, Wir müssen den Alten recht
geben, wenn sie dies annehmen. Die höchste Weisheit besteht
darin, das Jenseitige, daß uns umgibt, im rechten Sinne zu benutzen,
sieh von guten Kräften vertrauensvoll leiten zu lassen, aber nach
unten hin fest und unnachgiebig zu bleiben. Daher hat das Christentum
auch, d. h. richtiger die katholische Kirche hier tabula rasa
gemacht, indem sie alle Annäherungsversuche (wie sie z. B. in der
Zeit der Hexen gemacht wurden) systematisch zurückgewiesen und
verboten hat [Anm. Ich verweise auf meine Aufsätze über das
Hexenwesen im „Zentralblatt für Okkultismus44, „Isis44 und „Übersinnlicher
Welt". Was gewöhnlich darüber zu lesen ist, ist oberflächlich
, töricht und ohne Verständnis.]
Das hat aber in wissenschaftlicher Hinsicht außerordentlich
geschadet. Darunter leiden wir jetzt. Es kostet große Anstrengungen,
bis man bei sich den alten, „wissenschaftlichen44 Aberglauben ausrottet
, daß nur das wahr oder richtig sei,*was man bis jetzt beweisen
könne. Wir werden durch unsere größere Bekanntschaft
mit dem Orient bald noch so viel Wunderbares kennen lernen, daß
uns die Aussicht in eine ganz neue Welt eröffnet wird. Es gibt noch
Tausende von alten Zauberbüchern, die verstaubt bei den Antiquaren
liegen, die gute Auskunft geben könnten über den aken
Satz: „was ist Wahrheit?44 [Anm. Es ist bezeichnend für unsere
Zeit, daß sie auf die Moral so wenig Gewicht legt im Gegensatz
zum „finstern44 Mittelalter, wo man wegen Morallosigkeit (Hexen-
und Zauberwesen) strafte, auch wenn kein materieller Schade nach-
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