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21 .Psychische Studien. XLIV. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1917.)
arbeitel das Absolute einem Endzweck entgegen in allen seinen
Erscheinungen, denen allen Willensakte und Vorstellungen zukommen
. Auch im Pflanzenreich und in der anorganischen Natur
handelt das Unbewußte stets nach Zwecken. Deutlich tritt dies
im Instinkt hervor.
Was ist nun der Gesamtzweck des Weltprozesses? Es kann
nur die Förderung der absoluten Eudämonie sein, d. h. die Glückseligkeit
des Absoluten selbst. Aber die Glückseligkeit kann nur
eine negative sein, d. h. eine Erlösung. — Vor dem Weltprozeß
hat sich das Absolute im Zustand der Unseligkeit befunden. Das
Absolute ist darum in die Erscheinung getreten, um sich durch ver-
schiedene Stadien auf dem Wege der Entwicklung zum Bewußtsem
und zur logischen Idee emporzuringen, auf welcher Stufe es den
Seinswillen erleuchtet und negiert und die Idee vom Willen sich
emanzipiert; es erlangt den Zustand der Schmerz- und Lustlosig-
keit des Nirwana.
Das Logische macht, daß die Welt eine bestmögliche wird,2)
nämlich eine solche, die zur Erlösung kommt, nicht eine solche,
deren Qual in unendlicher Dauer perpetuieren wird. — Für die
Ethik ergibt sich hiernach das negative, absoluteudämonistische
Moralprinzip der Erlösung. Es stellt als absoluten Zweck hin die
Erlösung des Absoluten von seiner transzendenten Unseligkeit durch
die immanente Wahl des Weltprozesses. Die sittliche Pflicht des
Individuums ist, diesen Zweck nach Kräften zu fördern durch seine
Hingabe an das qualvolle Leben.
Hartmann schließt seine „Phänomenologie des sittlichen
Bewußtseins" mit den Worten: „Das reale Dasein ist die Inkarnation
der Gottheit, der Wellprozeß die Passionsgeschichte des
fleischgewordenen Gottes, und zugleich der Weg zur Erlösung des
im Fleisch Gekreuzigten; die Sittlichkeit aber ist die Mitarbeit an
der Abkürzung dieses Leidens- und Erlösungsweges." —
Dieses philosophische System gründet sich, indem es die Unseligkeit
des Absoluten vor dem Weltprozeß annimmt, auf eine unbewiesene
Voraussetzung, auf eine petitio principii. Meines Erachtens
ist es auch unrichtig, die durch Lebensverneinung zu erzielende
Aufhebung des postulierten praemundanen Unseligkeits-
zustands mit dem höchsten Grad von Lebensbejahung, mit Glückseligkeit
, zu identifizieren, und dieser Auffassung gemäß das
System — lucus a non lucendo — als ein eudämonistisches zu
bezeichnen.
Ferner ist es nicht recht begreiflich, wieso der aus der Unseligkeit
des Absoluten entspringende Nichtseinswille, der den seine
Erlösung bezweckenden Weltprozeß veranlaßt, in den Einzelwesen,
2) Gerade das Gegenteil ist richtig. Man braucht, wie man
sieht, nur alle Behauptungen dieses Philosophen umzukehren, um
auf die Wahrheit zu kommen.
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