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Seiling: Znm Fall Steiner
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getan werden auch gegenüber immer wiederkehrenden Unrichtigkeiten
? Doch nur: das Richtige aussprechen."
Nun, die folgenden Mitteilungen werden den Leser nicht im
Zweifel darüber lassen, worin „das Richtige" besteht. Er wird
sich darnach vielmehr fragen, ob gerade Steiner das Recht hat,
gegen ihn auftretenden Angriffen andere Motive als „die Er-
gründung des wahren Tatbestandes" unterzuschieben. Vorher sei
im Anschluß an das letzte Zitat noch bemerkt, daß Steiner in
der Schrift, der es entnommen ist, jede geistige Gemeinschaft mit
Blavalzky und Besant insofern ablehnt, als er seine sämtlichen
theosophischen Erkenntnisse auf eigenem Wege gefunden haben
will. Wenn man ihm dies auch glauben kann (was freilich nicht
jeder tun wird), so ist er doch tatsächlich zu Anschauungen ge-
langt, wie sie in rächt wenigen Beziehungen auch von diesen
Theosophinnen gelehrt werden (Reinkarnation und Karma, sieben-
fache Gliederung des Menschenwesens, phantastisch anmutende
Kosmogenie, Realität verschiedener geistiger Welten, Regelung des
Weltgeschehens durch geistige Wesenheiten, Akasha-Chronik).
Was die Lehre Steiners von der morgenländischen Richtung haupt-
sächlich unterscheidet, ist die Auffassung von Christus als einer
göttlichen, hoch über Buddha, Moses und anderen Religionsstiftern
stehenden, kosmischen Wesenheit, deren einmaliges Erscheinen
auf Erden und deren Blutopfer als das wichtigste
Ereignis der ganzen Menschheitsentwicklung
hingestellt werden. Diese Auffassung von Christus spielt
eine so große Rolle, daß der Herausgeber der neuen, im Zeichen
Steiners stehenden Zeitschrift „Das Reich*' sagen kann (3. Buch
S. 446): „Mit heller Freude würden wir es begrüßen, wenn sich
die Stimme eines in der esoterischen Disziplin geschulten und auf
dem mystischen Erkenntniswege fortgeschrittenen Mannes der
katholischen Kirche hören ließe — er soll im „Reich" selbst zu
Wort kommen — und wir zweifeln nicht, daß wir uns mit ihm
verständigen werden. Denn Geisteswissenschaft bringt nichts, was
dem Lehrgebäude der katholischen Kirche widerspräche.*' Ja,
Steiner selbst steht nicht an, in der oben erwähnten Schrift „Die
Aufgabe der Geisteswissenschaft" sich vor den „abgewirtschaftet
" (Saulus - Steiner) habenden christlichen Kirchen zu
verbeugen, indem er die, wenigstens hinsichtlich des katholischen
Kultus ganz unbegreifliche Bemerkung macht: „Auch nicht die
Intensität in der Ausübung seines religiösen Bekenntnisses und
seines religiösen Kultus braucht in irgend einer Weise beeinträchtigt
zu werden durch dasjenige, was der Mensch in der
Geisteswissenschaft findet."*)
*) Wie wenig Gegenliebe Steiner finden wird, beweist z. B.
die mir gerade jetzt, während ich dieses schreibe, zu Gesicht ge-
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