Freiburger historische Bestände - digital

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44 Psychische Studien. XLIV. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1917.)

Da sofort schrieb meine Mutter mir wehklagend: „ . . . erinnerst
Du Dich noch des Klopfens? ..." Und bald nachher stand
es urkundlich fest, daß mein Bruder an jenem Tage bei Grenzstreitigkeiten
ermordet worden war. —

Doch heute wollte ich eigentlich von meinem (leider heim-
gegangenen) Töchteichen schreiben, das nur 3 1., Jahr alt geworden
ist. Das Kind muß wohl wirklich eine Seltenheit, auch
an Schönheit gewesen sein, denn sozusagen alle (fremde) Welt
beachtete es auffällig, blieb stehen, redete es und uns an usw.
Mich hat dieses Seelen-Problem intensiv beschäftigt, sie war die
Verkörperung aller meiner Erdenwünsche. Ich will jedoch davon
noch schweigen, wie sie mit mir „weiterlebt". Sie war übrigens
meiner sehr skeptisch, nicht mystisch veranlagten Frau viel mehr
zugetan, als mir. Also hören Sie nur ein Vorkommnis :

Meine Frau geht mit ihr, ihrem Augapfel, zur Stadt, hat sie
an der Hand. Da kommt meine Frau an einem Hause eines
Architekten vorbei, von dem sie nichts wußte. Sie hatte nur zufällig
in der Zeitung gelesen, daß der Herr gestorben, gerade an
dem Tage begraben worden war. Nichts deutete am Hause
darauf hin. Mein Töchterchen hatte bestimmt nie etwas von Tod,
Begräbnis usw. gehört, gesehen. Stumm versinkt meine Frau
in Brüten vor sich hin und denkt etwa: „Zwischen so vielen
Kindern heraus —, wenn ich nun mal so die Meinen verlassen
müßte!" Sie geht stumm weiter, kein Wort! Da platzt die
Kieine heraus: „Mutter, Dich sollen die alten Männer aber nicht
in so 'neu schwarzen „Sarg" stecken." — Meine Frau war entsetzt
, entgegnete: „Was sagst Du da?" Und sie wiederholt's,
dabei das Wort „Sarg" so unklar, als ob's auch „Sack" heißen
könnte, sie hatte eben das Wort wohl nie gehört. Und ähnliche
Vorfälle mit diesem wunderbar veranlagten Kind könnte ich noch
viele erzählen. Das strahlende, blühende, anscheinend gesundrobuste
Geschöpf konnte stundenlang in der Welt seiner Phantasie
sozusagen versunken-,,abwesend" sein. Da ist sie einmal auch in
seligem Spiel vertieft, unterbricht sich ganz plötzlich, läuft zur
(nähenden) Mutter. „Mutter, wenn ich in den Himmel gehe,
gehst Du dann mit?" — Meine Frau wieder sprachlos! Die
Kleine wiederholt nachdrücklich: „Ja Mutter, gehst Du dann
mit?" Und erst bei der Zusage läuft sie glücklich hin und —
spielt weiter. Noch kein Anzeichen irgend einer Krankheit, bis
jetzt niemals! Aber bald darauf Lungenentzündung (Rippenfellentzündung
) wahrscheinlich tuberkulösen Charakters und der Heimgang
: „wie der eines Engels", wie die Pflegeschwestern immer
betonten. —

Es ließe sich ein eigenes Buch über dieses Kind schreiben,
das schon - im Mutterleibe so schwere Veränderungen an meiner
Frau hervorrief. Wie gesagt, es hat mir als ein Engel den