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06 Psy< hiache Studien. XUV. Jahrjr. 2. Heft. (Februar 917.)
empfindung. Diese Schranken sind gut bezeichnet worden als
„threshold of sensibi1ityu [Schwelle des Empfindungsvermögens]
und sie begrenzen den Spielraum unseres Bewußtseins. Während
des Fortschrittes der Evolution [Entwicklung] von niedrigen zu
höheren Formen des Lebens haben sich diese Schranken nach und
nach geändert und zwar mit einer entsprechenden Erhöhung des
Bewußtseins. Der Organismus einer Auster z. B. bedingt eine
Schranke, die sie von dem größten Teil unserer wahrnehmbaren
Welt ausschließt; in ähnlicher Weise bildet der physikalische Organismus
des Menschen eine Schranke, die ihn \ on jener größeren
transcendentalen Welt, von der wir ein Teil sind, trennt.
Doch ist diese Schranke nicht unabänderlich. Gelegentlich
in Verzückung, in einem Traum und in einem magnetischen Trance-
Zustand ist sie verändert, und der menschliche Geist bewegt sich
zeitweise in nicht vorstellbaren Welten durch Empfindung. Im
Hellsehen des tiefer magnetischen Schlafes und im Somnambulis.
mus ist diese Schranke ferner verlegt und eine höhere Intelligenz
taucht in einer Klarheit und Stärke auf, die zunimmt im Verhältnis
des mehr vollkommenen Aufhörens der Funktionen und des Bewußtseins
unseres gewöhnlichen Wachlebens.
Diese Intelligenz besitzt größere und tiefere Kräfte und Wahrnehmungen
als die des normalen, wrachen Bewußtseins. Demgemäß
mögen wir folgern, daß im Tode die Schranke noch mehr und
andauernd entfernt wird. Das normale Sinnesbi wußtsein läßt
nach und diese wahrnehmende und beweisführende Kraft, die wir
im Somnambulismus als unabhängig vom Körper finden, ist daher
kaum mit dem Köper vernichtet.
Wenn nach und nach das Wahrnehmungsvermögen für einen
erlischt, wird dieSchranke des Empfindungsvermögens nicht natürlich,
d. h. nicht gewaltsam entfernt; so ist es, wenn unsere Teuren
uns verlassen, warscheinlich daß die „dawn behind all dawnsu
[Dämmerung hinter allen Dämmerungen] sanft nach oben schleicht
[? Red.] und sie langsam aufweckt zu einem weiteren und tieferen
Bewußtsein, das — für gut oder schlecht — uns alle erwartet."
Zur Geschichte des Spiritismus.
Studien von E. W. D o b b e r k a u.
VII.
„Die Mystik der allen Griechen** von Dr. Carl du Prel (Verlag
von Max Altmann, Leipzig, 170 Seiten, br. 3 M.) ist ein
kleines kulturgeschichtliches Meisterwerk. Alle geheimnisvollen
Andeutungen der alten griechischen Denker und Dichter über den
Tempelschlaf, die Orakel, dk Mysterien und den Dämon des
Sokrates deutet du Prel aus und weist durch eingehende Ver-
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