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68 Psychische Studien. XLIV. Jahrg. 2. Heft. (Februar 1917.)
die magnetischen Streichungen vornimmt Er tut es in derselben
Weise wie unsere heutigen Heilmagnetiseure.
Hierdurch erwachte in den Schläfern der Heilinstinkt. Sie
durchfühlten zunächst ihren Körper, erkannten das Wesen ihrei
Krankheit und landen in derselben Weise den Weg zu ihrei
Heilung, wie unsere Somnambulen Ihre Selbstverordaungen
stimmten ihrem Wesen nach mit denen jener überein. Sie wichen
ganz ab von den Verordnungen der Ärzte und wirkten so stark,
daß eine sofortige Heilung eintrat, wenn sie vorausgesagt wai.
Daher schrieb man jene Heilverordnungen sorgfältig nieder, besonders
wertvolle grub man auf eherne Tafeln ein, die am Tempel
angebracht wurden, und hervorragende Ärzte bedienten sich ihrer
mit großem Erfolge.
Den Heiltraum konnte man auch für andere Personen erhalten
, wie auch heute Somnambule Heilverordnungen für Kranke
geben können, wenn sie mit ihnen in magische Beziehung gesetzt
werden. Das Eintreten letzterer kann durch Berührung von
Kleidurgsstücken, Taschentüchern oder Haaren der betreffenden
Kranken von Seiten der Somnambulen bewirkt weiden. In ähn-
licher Weise wurde auch in den griechischen Heiltempeln die
magnetische Beziehung zwischen den Tempelschläfern und den betreffenden
Kranken hergestellt, besonders wenn ein Priester füi
den Fragenden schlafen mußte. -
Die Orakel beruhten auf räumlichem oder zeitlichem Fernsehen
von besonders entwickelten Somnambulen, die man Pythien
nannte. Meist befanden sich die Orakel dort, wo berauschende,
zuweilen auch betäubende Gase dem Erdboden entströmten. Durch
Kauen von Lorbeerblättern, durch Trinken aus einer heiligen, gashaltigen
Quelle bereiteten sich die Pythien vor und kamen dadurch
in den somnambulen Zustand, in dem sie Worte ausstießen,
die von den Propheten des Orakels gedeutet wurden. So war es
in Delphi, dem bedeutendsten Orakel der Griechen, das nach
Plutarch seit mehr als dreitausend Iahren berühmt war.
Die Orakelsprüche wurden Jahrhunderte hindurch in Versen
(Hexametern) gegeben. Einen Vergleich hierzu bieten unsere
Somnambulen, die auch oft in Versen ihren Gedanken Ausdruck
verleihen. Alle Schriftsteller des griechischen*Altertums sprechen
mit Ehrfurcht von den Orakeln. Ciceio sagt: „Das wenigstens
bleibt unleugbar, wenn man nicht die ganze Geschichte umstoßen
will, daß dies Orakel (zu Delphi) viele Jahrhunderte hindurch
wahrhaft gewesen ist."
Es ist Aufgabe der Geschichtsforschung, nachzuprüfen, ob
die hohe Meinung von der Wahrheit der Orakel bei den alten
Griechen berechtigt war, ob die Orakel die Wahrheit sprachen.
Bis jetzt hat sich erst ein Geschichtsforscher dieser Aufgabe unter-
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