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98 Psychische Studien. XL1V. Jahrg. :M. Heft. (März-April 1917.)
Goethe als Christ una Freimaurer, Goethe als Naturwissenschaftler
, — dieser König gab seinen Kärrnern wahrhaftig zu tun,
da er baute. Doch die Literatur über Goethe fängt an, ins Uferlose
zu schwellen und noch immer haben wir keinen Goethe
als Lichtforscher.
Zufall oder Gedankenlosigkeit? — Absicht oder Interesselosigkeit
? Das letzte anzunehmen, bin ich sehr geneigt. Noch
immer geht ja durch unsre wissenschaftlichen Kreise jener kalte
Hauch ablehnenden Dünkels, den Goethe so treffend in seinem
Faust geschildert hat:
„Daran erkenn' ich den gelehrten Herrn,
Was Ihr nicht tastet, steht Euch meilenfern,
Was Ihr nicht faßt, das fehlt Euch ganz und gar,
Was Ihr nicht rechnet, glaubt Ihr, sei nicht wahr;
Was Ihr nicht wägt, hat für Euch kein Gewicht,
Was Ihr nicht münzt, das meint Ihr gälte nicht!"
Der große tiefdenkende und klarsehende Goethe, der nicht
nui mit dem Kopfe, nein, auch mit all seinen Sinnen suchte, wie
oft mag ihn dies hochmütig-überlegne Lächein der professionellen
Wissenschaftler empört haben, — wie oft mag ihm Zorn und
Widerwillen das Herz erfüllt haben und das um so mehr, als er
der einzige seiner Zeit war, der das Wahre sicher wußte und
alleine wußte, worauf es ankam.
Wahrhaftig, in seinem Auge allein „hatte sich das Licht ein
Organ gebaut, das seinesgleichen war* und hatte die Natur einen
hervorragenden Geist befähigt, anders als sonst die Weit und das
Licht zu sehen. Daß diese Art. das Licht und seine Farben zu
sehen, sich nicht mit der Kathederwissenschaft deckte, wurde
Goethe zu einem bittern Kelche. Man stand seinen Forschungen
von Anfang an und fast ohne Ausnahme ablehnend gegenüber
und hütete die Lehre Newtons mit hartnäckigem Beharren vor
der Verketzerung durch den Dichterfürsten in Weimar.
75 Jahre sind verflossen, da sich die Lichtaugen des Jupiters
der deutschen Geisteswelt geschlossen haben. Ward zu Goethe's
Lebzeiten schon seine Farbenlehre nicht erkannt, so waren die
Jahrzehnte nach seinem Tode noch weniger geeignet, ihr Geltung
zu verschaffen. Auffälliger aber ist schon, daß auch die letzten
friedlichen 40 Jahre nicht dazu kamen, sich mit Goethe's
Forschungen und Entdeckungen zu befassen. Heute noch gilt
die Irrlehre Newton's an unsern deutschen Lehrstühlen, gilt
die Newton'sche Lichtlehre als Dogma gegenüber den Versuchen
unsres Goethe, der mit seinem Lebenswerke von eminenter Größe
und Wahrheit die falschen Meinungen und Begriffe der professionellen
Wissenschaften durchbrechen und klären wollte.
Gerade heraus gesagt, es ist kein Ruhm für un^e- deutsches
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