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Vogt-Vüseck: Goethe als Lichtforscher.
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griff gemacht hatte, kein Recht zugestehen wollte, sich auf ein
Gebiet zu begeben, in dem doch das Fach allein zu gebieten habe.
Allein, alle Widersprüche konnten Goethe nicht entmutigen, um
so weniger, als ihm weder Maler, noch Physiker und Optiker auf
seine vielen Fragen Antwort geben konnten. Da die Berufenen
es selber nicht besser wußten, als er, sagte sich Goethe mit Recht,
daß hier keine Entwicklung, kein Vorwärtskommen zu erwarten
sei und daß seine Kritiker es ihm nun einmal besser vormachen
sollten, ehe sie ihm das Recht zu forschen absprachen.
In seiner „Konfession des Verfassers", die er der Licht- und
Farbenlehre anhängt, beklagt er sich bitter über das Verhalten
der zeitgenössischen Wissenschaftler und diese Klage ist um so
rührender, als sie nicht heftig die Widersacher ans Kreuz schlägt,
sondern einfach Tatsachen anführt. „All mein dringendes Mit-
teilen war vergebens. Die Folgen der französischen Revolution
halten alle Gemüter aufgeregt und in jedem Privatmann den
Regierungsdünkel erweckt Die Physiker, verbunden mit den
Chemikern, waren mit den Gasarten und dem Galvanismus beschäftigt
. Überall fand ich Unglauben an meinen Beruf zu dieser
Sache. Überall eine Art Abneigung gegen meine Bemühungen,
die sich, je gelehrter und kenntnisreicher die Männer waren,
immer mehr als unfreundlicher Widerwille zu äußern pflegte."
Da Goethe mit seinen Forschungen in den berufenen Kreisen
keinen Anklang fand, war er endlich mit einem Buche als Autor
in die Öffentlichkeit gegangen. Aber damit bekam er erst recht
die handwerksmäßige Gilde gegen sich, denn Goethe hatte den
Mut und erklärte kurzerhand die Newtonschen Experimente, die
Lichtlehre, wie die optischen Lehrbätze für falsch und er stach
hier in ein Wespennest. Man verwunderte sich höchlich, wie
jemand ohne höhere Einsicht in die Mathematik es wagen könne,
Newton zu widersprechen. „In gelehrten Zeitungen, Journalen,
Wörterbüchern und Kompendien sah man stolz mitleidig auf mich
herab," berichtet er, und keiner von der Gilde trug Bedenken,
den Unsinn noch einmal abdrucken zu lassen, den man nun fast
hundert Jahre als Glaubenbekenntnis wiederholte.**
Weiter ging Goethe seinen Weg. Er wußte, was er gefunden
hatte, und hatte zu wenig Eitelkeit, um zu erwarten, daß man
ihn, den Dichter, nun auch als Physiker und Lichtforschei mit
offnen Armen aufnehmen werde. Nur um dessentwillen, weil das,
was er schrieb, von einem Manne von Ruf kam.
Er war sich klar darüber, daß ihm sein Dichterruf eher ein
Hindernis, denn auf diesem Gebiete eine Förderung sein konnte.
Immerhin bereitete ihm aber mit zunehmenden Jahren das
Schicksal seiner verkannten Licht- und Farbenlehre manch bittere
Stunde. Trotzdem lebte in der Stille seines Herzens die feste
Überzeugung, daß man noch einmal die ganze Bedeutung seiner
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